Breitensport!?

Als ich heute Morgen den Sportteil der Bild-Zeitung aufschlug, dachte ich, meinen noch müden Augen spielen mir einen Streich: Prangte da doch tatsächlich eine Großaufnahme der Viessmann-Kiefer-Racing Kalex von Stefan Bradl. Und das über eine fast rekordverdächtig halbe Seite! Ich kann mich wirklich nicht entsinnen, wann der zweite Platz eines deutschen Motorradrennsportlers, Deutschlands Zeitung Nummer Eins das letzte Mal eine solche Schlagzeile wert war. Sollte der Motorradrennsport, nach Jahren des Schattendaseins ohne  deutschen Erfolgsfahrer, doch noch in den Fokus der breiten Öffentlichkeit rücken?

Stein des Anstoßes - Stefan Bradl in der "Bild"

Hätte man am Wochenende einen der Besucher des MotoGP-Laufs auf dem Sachsenring gefragt, so wäre die Antwort sicher ein eindeutiges „Ja“ gewesen. Denn ebenfalls rekordverdächtig waren wohl auch in diesem Jahr wieder die Zuschauerzahlen im deutschen Mekka des GrandPrix-Rennsport.

Mit gut 103.000 Besuchern am Rennsonntag und über 230.000 im Verlauf des gesamten Wochenendes, gehört die Veranstaltung im sächsischen Hohenstein-Ernsthal zu den am besten besuchten im gesamten GrandPrix-Kalender.

Da fragt man sich doch als Außenstehender, weshalb sich die Dorna so schwer damit tut, eine Einigung mit den örtlichen Promotern zu finden und der Termin für den Deutschland-GP 2012 immer noch auf wackeligen Beinen steht…

Aber es waren nicht nur die Zuschauerzahlen, die die Veranstaltung absolut bemerkenswert machten. Ganz nebenbei wurde nämlich auch erstklassiger Motorsport geliefert. Und das klassenübergreifend.

Das die 125er Klasse mit spannenden und vor allem abwechslungsreichen Rennen punkten kann, ist dem versierten GP-Fan längst bekannt. Auch wenn unsere deutschen Vorzeigepiloten Jonas Folger und Sandro Cortese mit den Plätzen sieben und acht etwas hinter den eigenen Erwartungen zurückblieben, boten die 125er Piloten Spannung und Dramatik bis über das eigentliche Rennende hinaus. War das Rennen über viele Runden ein mehr als ansehnlicher Dreikampf zwischen Maverick Vinales (Esp), Hector Faubel (Esp) und Johann Zarco (Fr), fiel die endgültige Endscheidung erst im Parc fermé. Lag Johann Zarco noch fast die gesamte letzte Runde in Führung, startete Faubel in der letzten Kurve eine finale Attacke und schaffte es, am Zielstrich mit dem Franzosen gleichauf zu liegen. Der bis zur Zielflagge führende Johann Zarco wähnte sich als Sieger und parkte seine Derbi im Parc fermé auch auf Platz eins. Jedoch waren beide so nah bei einander, dass auch eine Videoanalyse keinen Aufschluss brachte. Nicht eine Tausendstel trennte die beiden. Um einen Sieger zu küren, musste die Rennkommission auf die schnellste Rennrunde zurückgreifen. Die hatte aber Hector Faubel in den sächsischen Asphalt gebrannt. Tragisch: Bereits zum zweiten Mal musste Johann Zarco bei schon abgestellten Motor den sicher geglaubten ersten Platz wieder abgeben.

Etwas eindeutiger, aber nicht minder spannend, ging der Lauf der Moto2 zu Ende. Inzwischen zum heimlichen Hauptrennen des MotoGP-Wochenendes avanciert, gab es auch hier wieder spannende Duelle und unzählige Überholmanöver. Konnte sich Stefan Bradl über weite Teile des Rennens auf Platz eins und damit aus dem Positionsgerangel heraus halten, balgten sich Tom Lüthi, Alex deAngelis und Marc Marquez lange Zeit spektakulär um Rang zwei. Erst kurz vor Schluss konnte sich Marquez durchsetzen, auf Grund eines nachlassenden Hinterreifens an Bradls Kalex die Führung übernehmen und den Sieg vor dem deutschen WM-Führenden nachhause chauffieren.

Das sprichwörtliche Tüpfelchen auf dem i war dann doch tatsächlich das MotoGP Rennen. Erfreulicherweise kam es diesmal nicht zum Alleingang eines Casey Stoner, sondern einem ansehnlichen Schlagabtausch zwischen eben jenem, Jorge Lorenzo und dem noch immer rekonvaleszenten Daniel Pedrosa. Trotz seines Handicaps bewies der kleine Mann den längsten Atem und fuhr nach 29 Runden als erster über den Zielstrich. Doch der Kampf an der Spitze war nicht das einzige Highlight. Vielmehr bestand das Rennen aus kleinen Einzelrennen, bei denen jedes für sich absolut sehenswert war. Ob es der erfolgreiche Kampf eines (fast) wieder genesenen Alvaro Bautista gegen die Ducati Werkspiloten Valentino Rossi und Nicky Hayden war oder die mehr als beachtliche Aufholjagd von Hector Barbera, der am Sachsenring die mit Abstand schnellste Ducati pilotierte, im gesamten Feld wurde ordentliche Renn-Action geboten.

Was an dieser Stelle nicht unerwähnt bleiben darf, ist, dass die Zuschauer auf den Rängen und vor den Fernsehern nicht nur ein bis zum Ende interessantes Rennen zu sehen bekamen, sondern auch eines, bei dem ausnahmsweise alle Fahrer ins Ziel gekommen sind. Bei nur siebzehn startenden Piloten eine Wohltat.

Apropos Zuschauer am Fernseher. Um den Motorradrennsport auch der breiten Masse schmackhaft zu machen, bedarf es natürlich einer entsprechenden Medienpräsenz. Und da ist die eingangs erwähnte Bild-Zeitung ein dankbares Mittel. Viel wichtiger noch ist aber die zugehörige TV-Übertragung. In diesem Zusammenhang möchte ich an dieser Stelle auch mal ein lobendes Wort über die viel gescholtene Sport1-Berichterstattung verlieren.

Wir alle wissen, dass die Länge der Rennübertragungen in der Anfangszeit sehr zu wünschen übrig ließ und auch die Informationsqualität eher als mager zu bezeichnen war. Allerdings haben sich die Mannen um Eddi Mielke und Alex Hofmann bemerkenswert gemausert. Vor allem letztgenannter überzeugt nicht nur mit fachlicher Kompetenz, sondern hat inzwischen auch seine anfängliche Nervosität abgelegt und ist zu einem hervorragenden Motorsport-Entertainer herangereift. Ingesamt scheint es so, als sei das Sport1-Team in den MotoGP-Zirkus hineingewachsen und findet inzwischen wohl bei allen Teams und Beteiligten die nötige Akzeptanz.

Mögen einzelne Beiträge doch noch sehr nach quotengeilem Privatfernsehen riechen (ich sage nur „Lorenzo – Das Biest!“), ist das Gesamtpaket doch inzwischen durchaus sehenswert.

Bleibt nur zu hoffen, dass sich die momentane Entwicklung auch nach dem Start der Bundesliga genauso positiv fortsetzt und die kostbare MotoGP-Sendezeit nicht wieder König Fußball geopfert wird. Dem deutschen Motorsport würde es sicher gut tun.

In diesem Sinne – Es lebe der Sport!

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