Unter Road Racing versteht der eingefleischte Motorsport-Fan Motorradrennen auf nicht permanenten Rennstrecken, deren Verlauf in Teilen oder zur Gänze öffentlichen Straßen folgt und die die meiste Zeit des Jahres Teil des regulären Verkehrsnetzes sind. So, oder so ähnlich könnte eine einfache Begriffsdefinition ausfallen, doch glücklicherweise würde niemand, der ein entsprechendes Event jemals erlebt hat, auf die Idee kommen, so ein Straßenrennen zu beschreiben. Normalerweise entsprechen aber weder die Strecke selbst und schon gar nicht die Rennen dieser schnöden Beschreibung. Aber wie überall gibt es natürlich auch hier Ausnahmen und während Strecken wie der Snaefell Mount Course auf der Isle of Man oder der Oliver´s Mount Circuit in England aufgrund ihres Charakters einen legendären Ruf genießen, gibt es Kurse, die auf den ersten Blick alles andere als faszinierend und einladend sind. Der IRRC-Kurs in Oss ist so ein Kandidat. Wenig malerisch in einem modernen Industriegebiet gelegen, ist er weder landschaftlich besonders reizvoll, noch macht ihn das Strecken-Layout besonders spektakulär. Alles in allem also nichts, was man als Fahrer und oder Zuschauer in die Kategorie „Lieblingsstrecke“ stecken würde.
Dennoch wird auf dem Stop-and-Go-Kurs jedes Jahr großartiger Motorsport geboten. Um die Strecke etwas flüssiger zu gestalten, wurde 2016 dem Wunsch vieler Fahrer entsprochen und ein Teil der als Streckenbegrenzung eingesetzten Leitschwellen entfernt. Schnellere Rundenzeiten waren also schon vor dem ersten Training garantiert. Und „Schnell“ ist beim Road Racing auf jeden Fall immer spektakulär.
Trainingssonntag
Die Rennen in Oss finden tradtionell am Pfingstmontag statt, sodass die Trainings hier erst am Sonntag ausgetragen werden und nachdem die IRRC bereits beim Auftakt in Hengelo viel Glück mit dem Wetter hatte, machte nun auch der Trainingstag in Oss seinem Namen alle Ehre. In den Morgenstunden hatte es zwar noch geregnet, aber dank eines kräftigen Windes und wärmender Sonne war die Strecke pünktlich zum Start des ersten Supersport Trainings komplett abgetrocknet. Der IRRC Supersport-Meister von 2013, Laurent Hoffmann, nutzte die von Beginn an guten Bedingungen und beendete das erste Training vor Joey den Besten als Schnellster. Mit Thomas Walther (3.) und Thomas Wendel (5.) machten aber auch zwei Deutsche bereits zu diesem frühen Zeitpunkt auf sich aufmerksam, profitierten aber auch vom Fehlen des Meisterschaftsführenden Marek Červený. Der Tscheche hatte am Vortag noch am SSP-Rennen beim Northwest 200 teilgenommen und befand sich zu diesem Zeitpunkt noch auf der Reise nach Oss.
Auch das erste IRRC Superbike-Training litt noch unter Fahrermangel. Hier war der Schwund aber um einiges größer und es fehlten am Sonntagmorgen insgesamt 10 der eingeschriebenen 30 IRRC Fahrer. Während Didier Grams und Petr Biciste sich ebenfalls noch auf der Rückreise vom NW 200 befanden, starteten mit Foti Psomadakis und Vassilios Takos die beiden Deutsch-Griechen der IRRC beim Fischereihafen-Rennen in Bremerhaven. Auf die Trainingszeiten an der Spitze hatte das aber keinen Einfluss. Wie zu erwarten, waren es hier Sebastien le Grelle (BE) und sein Teamkollege Vincent Lonbois (BE), die die Zeitenliste anführten. Die drittschnellste Zeit fuhr bereits in der vierten Trainingsrunde Peter Schalken, der schnelle R1-Pilot ging aber schon kurz darauf zu Boden und konnte das Training im Anschluss nicht wieder aufnehmen.
Im zweiten Supersport-Qualifying war dann auch der amtierende Meister Marek Červený wieder mit von der Partie. Der schnelle Tscheche hat in den Tagen zuvor sein Debut beim Northwest 200 bestritten und war erst im Laufe des Vormittags und nach dem Ende des ersten IRRC Training in Oss angekommen. Zum ersten SSP-Training des hier ebenfalls ausgetragenen BeNeCups war er gerade noch pünktlich und musste mit dem Ersatzmotorrad vorlieb nehmen, ließ sich vom Reisestress und dem B-Material aber nicht einbremsen. Trotz des fehlenden Trainings am Morgen fuhr er mit einer 1:38,8er Zeit direkt die drittschnellste Runde.
Auch im IRRC Training konnte er an seine Pace anknüpfen und fuhr bereits in der zweiten Runde mit einer 1:38,690 seine Bestzeit. Diese reichte zwar nicht, um Joey den Besten (1:37,639 min!) die Pole abzujagen, sicherte ihm aber Startplatz drei hinter Laurent Hoffmann. Für den Belgier verlief das Qualifying alles andere als erfolgreich. Der schnellsten Mann aus Q1 stürzte bereits in der zweiten Runde übers Vorderrad und konnte das Training nicht mehr fortsetzen. Glück im Unglück: seine starke 1:38,591 Min Runde vom Morgen wurde in Q2 nur von Joey den Besten unterboten und sicherte ihm Startplatz zwei. Position 4 ging an dem abermals überraschend starken Thomas Walther (1:38,923 min). Der Deutsche kämpfte vor allem Ende Start/Ziel mit Problemen auf der Bremse, zeigte aber auf, dass man für die Rennen auf jeden Fall mit ihm rechnen musste. Die zweite Startreihe komplettierten Ilya Cajouw (5.,BE) und Thomas Wendel (DE) auf 6.
Superbike
Das zweite SBK-Qualifying am späten Mittag wurde dann von stürmischem Wind und Didier Grams geprägt. Auch der Sachse kam als Nachzügler von Northwest 200 und musste daher ebenfalls das erste Training ausfallen lassen, ließ sich von den Bedingungen aber nicht schrecken. Im Gegenteil. Während Vincent Lonbois etwas mit den teils heftigen Böen haderte, stürmte Grams mit einer 1:34,169 Min. auf die Pole und verwies den Belgier auf Platz zwei. Sebastien le Grelle, der im ersten Training seinen Teamkollegen locker im Griff hatte, kämpfte nun mit der Gasannahme seiner BMW und fuhr nur die fünftschnellste Zeit. Wie Laurent Hoffmann bei den Supersportler profitierte aber auch er von seinen extrem schnellen Zeiten aus dem ersten Training und stand mit seiner 1:34,593 Min immer noch auf Startplatz 3. Peter Schalken, der am Morgen noch die drittschnellste Zeit gefahren war, dann aber gestürzt ist, konnte aufgrund eines gebrochenen Schlüsselbeins und einer gebrochenen Schulter infolge des Sturzes zu diesem Zeitpunkt nicht mehr am Geschehen teilnehmen. Die Startplätze vier bis sechs in Reihe zwei gingen so Johan Fredriks (NL), Chris Nobel (NL) und Petr Biciste (CZ). Der durch einen Magen-Darm-Infekt angeschlagene Doppelstarter Thomas Wendel holte sich nach Startplatz 6 bei den Sechshundertern auch einen starken achten Startplatz bei den Superbikes.
Racing-Time
Auch in der Nacht vor den Rennen hatte es wieder einige Schauer gegeben und der Tag begann mit wenig frühlingshaften 9 Grad, dank des immer noch frischen Windes war der Asphalt im Industriegebiet zu Oss aber pünktlich zu den Rennen abgetrocknet. Aber selbst ohne Wetterkapriolen verlief der Start turbulent. Wie zu erwarten, war es Schnellstarter Marek Červený, der in Führung liegend in die erste Rechts einbog. Noch besser lief es aber für Stefan Schörgendorfer. Nach dem zweiten Quali war für den Österreicher aufgrund eines defekten Ventiltriebs noch intensives Schrauben angesagt, doch nun glückte ihm ein raketenartigen Start und er spurtete noch vor Kurve eins von Startplatz 8 auf Position drei, direkt hinter Joey den Besten. Auch der von Sieben kommende Pierre Yves Bian (FR) hatte eine hervorragenden Start, erwischt dann aber die schmutzige Außenbahn und ging mit seiner R6 im Marienkäfer-Design beim Gasanlegen zu Boden.
In Runde zwei war die Hackordnung dann wieder hergestellt und Schörgendorfer auf Platz 6 hinter Thomas Wendel zurückgereicht. Auch der auf Sieben liegende Ilya Caljouw (NL) ging im zweiten Umlauf noch an Schörgendorfer vorbei, beendete sein Überholmanöver aber mit einem Highsigher und katapultierte sich aus dem Rennen. An der Spitze setzten sich währenddessen Červený und den Besten bereits vom Rest des Feldes ab und überließen den Kampf um die Plätze Laurent Hoffmann (BE), Thomas Walther (DE) und Thomas Wendel (DE). Vor allem Walther machte massiv Druck auf den Drittplatzierten Belgier. Aber auch im vorderen Mittelfeld entspann sich ein ansehnlicher Zweikampf zwischen dem Belgier Kevin de Frenne und Wolfgang „Wolfi“ Schuster um Platz 8. De Frenne hatte bereits am Morgen des Trainingstages einen Getriebeschaden, musste mit einem enormen Trainingsdefizit kämpfen und wurde dann zur Rennmitte nach einem Verbremser auch vom Deutschen geschnappt. Leider währte die Freude nur kurz, denn kaum zwei Runden später verabschiedete sich nach Ilya Caljouw und Tukka Korhonen (FI, Runde 4) auch der Deutsche per Highsider aus dem Rennen.
An der Spitze schlug zu dieser Zeit ebenfalls das Pech zu, hier allerdings in Form des Fehlerteufels auf Technikseite. Nachdem der amtierende Meister Marek Červený die ersten Zweidrittel des Rennen kontrolliert in Führung lag, ging an seiner ZX-6R in der sechsten Runde die Einstellschraube seiner Bremse verloren und macht so das Ankern im Attacke-Modus unmöglich. Es kam, wie es kommen musste und Joey den Besten konnte die Lücke zu seinem ärgsten Widersacher in der Meisterschaft nicht nur schließen, sondern übernahm in der vorletzten Runde auch die Führung und gab diese auch nicht wieder her. Dahinter konnte sich Laurent Hoffmann auf Platz 3 behaupten und trotz enormen Drucks durch die beiden Deutschen Walther (4.) und Wendel (5.) den letzten Platz auf dem Podest sichern. Der Titel „Pechvogel des Rennens“ ging dann noch nach der karierten Flagge an Christian Schmitz (DE). In der Auslaufrunde quittierte das Zwischengasmodul an der R6 des jungen Wuppertalers den Dienst und schickte Schmitz im Rahmen ihres Ablebens nicht nur unsanft zu Boden, sondern verformte dabei die Yamaha so stark, dass an einen Start im zweiten Rennen nicht mehr zu denken war.
IRRC SBK Lauf 1
Auch bei den Superbikes war es mit Sebastien le Grelle (#45, BE) der Mann von Starplatz 3, der noch vor der ersten Kurve die Führung übernahm und seinen von Platz 2 kommenden Teamkollegen Vincent Lonbois (#155, BE) mitzog. Polesetter Didier Grams (#26) bog auf Position 3 in Kurve eins. Der zweite Deutsche in den Top Ten, Thomas Wendel (#21), erwischte den Start nicht optimal und fiel von Platz 8 auf 10 zurück. Während sich das Feld an der Spitze aber relativ schnell sortierte, startete Wendel sofort die Aufholjagd, arbeitete sich durchs Feld nach vorne und überholte bereits kurz vor Rennmitte den auf Platz 6 liegenden Petr Biciste (CZ). Der Deutsche profitierte dabei auch vom Ausfall von Chris Nobel (#57, NL), der seine 2016er ZX-10R eingangs Start/Ziel spektakulär über die Streckenbegrenzung feuerte, dabei aber glücklicherweise unverletzt blieb. Nach dem ersten Drittel des Rennens erwachte auch der auf zwei liegende Vincent Lonbois nochmals zum Leben und begann, den Führenden Sebastien le Grelle unter Druck zu setzen. Sah es während der ersten Rennhälfte noch so aus, als können le Grelle seinen jungen Teamkollegen dieses Mal in Schach halten, machte Lonbois dann schon in Runde 5 kurzen Prozess und ging an amtierenden Meister vorbei. Damit waren die Plätze 1 bis 4 endgültig ausgelost. Einzig Thomas Wendel gelang es sprichwörtlich noch auf den letzten Metern, die Reihenfolge in der Top Ten noch mal zu verändern. Wendel ging in der letzten Kurve an Jochem van den Hoek (NL) vorbei und sicherte sich damit einen starken fünften Platz.
Nur die Harten…
Der zweite Supersportlauf wurde dann zur den Besten Show. Der Holländer führte das Rennen von der Pole weg an und ließ über die gesamte Distanz nicht einen Zweifel aufkommen, wer hier am Ende des Tages mit voller Punktzahl nach Hause fahren würde. Dahinter war es zwar zuerst Laurent Hoffmann, der seinen zweiten Startplatz über die erste Runde retten konnte. Aber schon im folgenden Umlauf hatte er Marek Červený nichts mehr entgegenzusetzen und musste dem Tschechen Platz zwei überlassen. Auch Thomas Walther nutzte bereits in dieser frühen Phase des Rennens die Gelegenheit, ging am Belgier vorbei und sicherte sich so den letzten Podestplatz, den er im ersten Lauf noch knapp verpasst hatte. Nur eine Runde später musste sich Hoffmann dann auch noch Thomas Wendel geschlagen geben und schied anschließend endgültig aus. Dahinter war es vor allem Ilya Caljouw, der auf sich aufmerksam machte. Nach seinem Ausfall im ersten Lauf und einer verpatzten ersten Runde kämpfte es sich in nur 3 Runden von Position 10 wieder auf Rang 5 nach vorne. Anschließend konnte er dann sogar noch zum auf 4 liegenden Thomas Wendel aufschließen, für eine finale Attacke reichte es aber nicht mehr.
Weniger gut lief es zur selben Zeit für Wolfi Schuster.Der Deutsche hatte bei seinem Highsider im ersten Rennen sein Motorrad mit dem Körper abgefangen und sich dabei zwei Rippen gebrochen sowie jede Menge Prellungen und blaue Flecken geholt, war aber trotzdem zum zweiten Rennen angetreten. Belohnt wurde er für seinen Einsatz aber nicht und musste aufgrund einer abgebrochene Fußraste aufgeben. In Runde 8 unterstrich Joey den Besten nochmals seine Performance und schnappte sich mit einer 1:36,250 Min den SSP-Rundenrekord in Oss.
Mit einem neuen Rundenrekord ging auch das zweite Superbike-Rennen zu Ende, auch wenn der Verlauf – von einem brutalen Highsider von Markus Mitterbauer abgesehen – erstaunlich dem ersten Durchgang glich. Wieder war es Sebastien le Grelle, der den besten Start erwischt und frühzeitig die Führung übernahm und wieder war es Vincent Lonbois, der seinen Teamkollegen dann zur Rennmitte doch noch mit Vehemenz den Platz an der Sonne streitig machte. Als krönenden Abschluss unrundete er den Kurs in der sechste von neun Runden noch in einer neuen Bestzeit von 1:31,842 Min und verbesserte damit seinen eigenen Rundenrekord vom Vormittag nochmals um fast sieben Zehntel.
Dahinter verlief das Rennen eher unspektakulär. Die Plätze drei (Didier Grams, BMW), vier (Johan Fredriks, Kawasaki), fünf (Thomas Wendel, Yamaha), sechs (Jochem van den Hoek, Kawasaki) und sieben (Patrick Quintens, ) hatte sich bereits in der ersten Runde sortiert. Erst Petr Biciste gelang es, kurz vor Rennende noch eine Entscheidung auf der Strecke herbeizuführen. Im letzten Umlauf schob er sich auf seiner BMW an David Jean Luc (FR, ZX-10R) vorbei und konnte so noch Platz 8 einfahren. Die Top Ten komplettierte David Datzer (DE).
Auch wenn das zweite Superbike-Rennen hinter dem Spitzen-Duo vom Team Herpigny BMW etwas an Spannung vermissen ließ, wurde in Oss wieder erstklassiger Motorsport geboten. In beiden Klassen ist die Meisterschaft noch weit offen, auch wenn sich bei den Superbikes mit Vincent Lonbois (4 Siege, 100 Pkt.) schon ein Titelkandidat herauskristallisiert. Sebastien le Grelle (73 Pkt.) und Didier Grams (64 Pkt.) sollte man aber auf keinen Fall schon abschreiben. Bei den Supersportler liefern sich der Meister von 2014, Joey den Besten, und der amtierende Champion, Marek Červený, mit jeweils zwei Siegen und zwei zweiten Plätzen sowie 90 Punkten ein echtes Kopf-an-Kopf-Rennen. Aber auch die Plätze drei (Thomas Walther, 58 Pkt.), vier (Laurent Hoffmann, 45 Pkt.) und fünf (Thomas Wendel, 42 Pkt.) trennen insgesamt nur 16 Zähler und die Fahrer sind noch in Schlagdsitanz zur Spitze.
(Text und Bilder: Michael Praschak)
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