Tracktest Aprilia RSV 4 R/Factory

Wie viele von euch ja vielleicht wissen, bin ich durch meine Diplomarbeit und den Umbau meiner heiß geliebten 10er in diesem Jahr noch nicht all zu oft zum Fahren gekommen. Durch den Dauerstress bis Anfang Mai hat es erst zu einem Training auf dem Hockenheimring (kleiner Kurs) und ein paar, nicht weiter erwähnenswerten, Straßenkilometern gereicht. Seit dem Ende meines Studiums hätte ich zwar jetzt erheblich mehr Zeit zum Fahren, da ich aber weder einen „Renntransporter“ noch einen Motorradanhänger habe, ist der Ausflug zur Rennstrecke immer mit einigen logistischen Schwierigkeiten verbunden. Letzte Woche Dienstag bot sich dann per Email eine gute Gelegenheit, mal wieder stressfrei ein paar Runden auf der Rennstrecke zu drehen. Motorrad SPEER lud zur Testfahrt der neuen Aprilia RSV4 R und Factory ein. 50 Euro sollte der Spaß pro Turn (20min) kosten. Kein Pappenstiel. Aber wenn man überlegt, was ein Tag Rennstreckentraining auf dem eigenen Mopped mit allem drum und dran kostet, war es doch ein ganz gutes Angebot. Also hab ich letzten Donnerstag kurzer Hand per Email mein Interesse bekundet und darauf gehofft, dass ich nicht schon zu lange gezaudert hatte.

Das Wochenende habe ich dann kurzweilig gestaltet und an der Schlammschlacht auf dem „SOUTHSIDE“ teilgenommen. Naturgemäß führte mich mein erster Weg nach der Heimkehr direkt zum Laptop um meine Emails zu checken. Und siehe da, zweimal Post aus dem Hause SPEER! Eine Bestätigung für das Training am letzten Dienstag und die Bitte, ich solle doch noch mitteilen, ob ich lieber die R-Version oder die Factory fahren möchte. Was für eine Frage!

Vorgestern Morgen war es dann endlich soweit. Nach einer wieder mal viel zu kurzen Nacht und noch leicht lädiert vom Southside (ein eingeklemmter Nerv und eine offene Ferse) startete ich um 7:30 Uhr gen Hockenheim. Nur 50 Minuten später parkte ich bei herrlichem Sonnenschein hinter der Boxengasse. Nach einem kurzen Plausch mit Herbert Speer ging es dann auch schon an die Formalitäten. Füllen sie dies aus… Unterschreiben sie hier… Haftungsverzicht für die Rennstrecke. Versicherung für das Motorrad mit 4000,- Selbstbeteiligung. Das Übliche… Moment… 4000,- Euro?? SCHLUCK… Mit 1500 – 2000 Euro hatte ich ja gerechnet, aber so viel?? Ich war zwar nicht hier um auf Risiko zu fahren, aber was ist, wenn mich jemand abschießt!? Mmmmhhh, zum Glück hatte ich mich für die mittlere Gruppe gemeldet, da sollte von hinten hoffentlich keine Gefahr drohen.

Nach 2 Kaffee, einem halben Liter Saftschorle und 2 Turns als Zuschauer in der Sachskurve (ein Sturz in der Krabbelgruppe) ging es dann endlich los. Da stand sie nun. Die Aprilia RSV4 Factory. Schwarz-rot, 180 PS stark und knappe 20.000 Euro teuer. Irgendwo in meinem Kopf blinkte eine Warnleuchte mit einer grellroten 4000…

Aprilia RSV 4 Factory mit Öhlins-Fahrwerk, Magnesiummotordeckel und Sichtcarbon

Herbert Speer fragte mich noch, mit welchem Mapping ich denn fahren wolle und da ich schon einiges über die ausgeprägten Lastwechselreaktion im Trackmodus gelesen hatte, entschied ich mich erst mal für den Sportmodus. Sicher ist sicher. Nun aber los. Helm auf, Motor an und zum Vorstart gerollt. Hier war noch kurz Zeit sich mit den Instrumenten vertraut zu machen. Großer analoger Drehzahlmesser, gut ablesbares Display, Schaltblitz, Ganganzeige. Alles da wo es hingehört. Aber wieso zeigt mir das Ding keine N für neutral an? Ich friemele mit dem linken Fuß am eigentlich gut zu bedienenden Schalthebel herum, aber einen Leerlauf finde ich nicht. Egal. Warten wir eben mit gezogener Kupplung. So hört sich der V4 sowieso besser an. Da ein Stellmotor im Auspuff bei eingelegtem Gang den Auspuffquerschnitt komplett freigibt, klingt der Motor schon im Stand rotzig-frech. Leichtgängig ist die Kupplung allemal. Ein freundlicher Wink vom Mann mit dem Funkgerät und ab geht´s auf die Strecke. Ich fahre verhalten los, schleichen trifft es wohl eher. Kurz vor der Ameisenkurve gehen mir die letzten Worte eines Herrn S. durch den Kopf. „ Achte darauf, dass der V4 weniger Bremsmoment als ein Reihenmotor zeigt und beim Bremsen lieber sachte hinlangen, mit der Bremboanlage ist nicht zu spaßen.“ Wieder ist da dieses grellrote Licht.

Schaltzentrale der RSV4 Factory; auffällig: die variable Aufnahme für das Lenkkopflager

Spitzkehre, Sachskurve, Start/Ziel, irgendwie schwuchtel ich durch die erste Runde. Wieder Ameisenkurve, Parabolika… Doch was ist das? Rote Flagge! Na das fängt ja gut an. Ich hatte doch 50 Euro bezahlt! Sollte der Spaß jetzt schon vorbei sein? Wir erreichen im Konvoi wieder die Spitzkehre und da steht der Grund für den Trainingsabbruch. Ein Häufchen Elend neben seiner verendeten ZX-6R. Motorplatzer in der 2. Runde. Was sind schon 50 Euro.

Wie bei rot üblich, versammelt sich die ganze Meute wieder am Vorstart in der Boxengasse. Wieder sehe ich den freundlichen Funker, ich freu mich auf den 2. Anlauf, will losfahren…. Und lass den Motor absterben. Das kann doch alles gar nicht wahr sein! Mit hochrotem Kopf fahre ich auf die Strecke, versuche die Peinlichkeit zu verdrängen und mich aufs Fahren zu konzentrieren. Aber irgendwie will nichts so richtig gelingen. Soll das dieses Übermopped sein, von dem alle Redakteure so schwärmen? Stark, zielgenau und mit federleichtem Handling? Diese präzise Waffe im Kampf gegen die Rundenzeiten? Bei mir passt einfach nichts. Ich treffe keine Linie so wie ich es mir vorstelle, der Lenker neigt beim Rausbeschleunigen zum Auskeilen und entweder ich jubele den Motor viel zu früh vorm Bremspunkt in den Begrenzer oder ich fahre einen Gang zu niedrig. Auch scheint mir der Motor nicht so bärig, wie die 180 PS auf dem Papier versprechen. Und ich fühle mich zu groß für das Motorrad. Meine Beine scheinen für die Sitzposition zu lang zu sein, ich kann nicht richtig auf dem Motorrad turnen und der Windschutz scheint mir auch eher dürftig. Nach zehn Minuten ist der Turn zu Ende und der Spaß vorbei.

Mit der Factory in Aktion

Enttäuscht rolle ich zurück an die Box. Wieder suche ich den Leerlauf und zu meiner Überraschung leuchtet mir diesmal umgehend das Leerlauf N entgegen. Ich lasse die Kupplung schnalzen… und würge den Motor ab. Doch wieder raus gesprungen. Meine Stimmung erreicht den Tiefpunkt. Irgendwie hatte ich mir das alles anders vorgestellt.

Andererseits, wie will man sich nach nur 4 oder 5 brauchbaren Runden ein vernünftiges Urteil bilden? So konnte ich auf keinen Fall nach Hause fahren. Also wieder hin zum Chef, fragen, ob auch noch ein weiterer Turn pro Fahrer drin ist. Mittlerweile waren alle Sessions mit der Factory bis in den späten Nachmittag ausgebucht. Aber die R-Version war noch für einen Test am Vormittag frei! Gut dachte ich mir, dann bin ich wenigstens beide gefahren. Nun hieß es allerdings eine Stunde zu warten. Zwischendurch waren beide Motorräder immer wieder mal für kurze Zeit gleichzeitig an der Box und so nutzte  ich die Gelegenheit für einen direkten Vergleich der beiden Modelle. Die auffälligsten Unterschiede der teureren Factory zur R sind wohl das Öhlins-Fahrwerk, die Carbonteile sowie die Motordeckel aus Magnesium. Bei genauerem Hinsehen fallen aber noch einige andere feine Änderungen auf. So gibt es zwar beide Modelle variable Aufhängungspunkte für die Motorhalterung, bei der Factory lassen sich aber zusätzlich noch die Aufnahme der Schwinge, als auch das Lenkkopflager in ihrer Position variieren. Wie bei einem reinrassigen Rennmotorrad. Auch die ohnehin schon leichten Felgen der R-Version wurden bei der Factory durch noch filigranere Pendants ersetzt. Eine weiteres Gimmick, welches beide Varianten wieder gemeinsam haben, sind die per Exzenter einstellbaren Schalt- beziehungsweise Fußbremshebel. Eine nette Detaillösung, die mir (Schuhgröße 46) besonders gut gefallen hat. Apropos Fußrasten. Die im Vergleich zu meiner Gilles-Anlage doch kürzen Rastenkörper bieten enorm viel Halt, was beim ersten Blick nicht unbedingt zu erwarten ist. Ebenfalls bei beiden Modellen findet sich der riesige Kühler. Vor wenigen Jahren wäre das Ding noch ohne Probleme als Kit-Kühler für ein reines Rennstreckenmotorrad durchgegangen.

Felgen der RSV 4 Modelle; links die sehr filigrane Variante der Factory, rechts die Ausführung der „R“

Bremshebel mit Exzenter und variables Schwingenlager an der Factory

Kühler der RSV

Und plötzlich passt´s wie angegossen

So, genug der grauen Theorie. Die Stunde ist um und endlich kann ich den zweiten Test in Angriff nehmen. Diesmal ist die weiße „R“ an der Reihe. Da ich den ersten Durchgang ja mit dem Sportmapping unterwegs war, lasse  ich mir diesmal den Modus „Track“ einstellen. Aufsteigen, Motor an und los gehts. Aber Moment mal… Ist das das gleiche Motorrad? Schon der Griff zum Lenker fühlte sich diesmal besser an. Ist der Kupplungshebel etwas näher am Lenker? Und was ist mit dem Motor los? Jede kleinste Bewegung des Handgelenks schickt Kraftstoff durch die Einspritzdüsen. Diesmal droht also kein Abwürgen.

Ich passiere die Ampel und ab geht es auf dir Strecke. Ich lasse es schon in der Einführungsrunde etwas beherzter angehen und siehe da, plötzlich funktioniert alles so, wie es funktionieren soll. Ich passiere Start/Ziel, zweite Runde, ab jetzt gilt´s. Schneller Rechtsknick,  Ameisenkurve und ab gehts in die Parabolika. Ich falte mich zusammen und spanne den Hahn. Von Vollgas bin ich zwar noch ein gutes Stück entfernt, aber schon jetzt spürt man das geänderte Mapping der Einspritzanlage. Der Motor geht sehr direkt an Gas und schiebt ab 8.000 Touren bärenstark voran. Die vermeintlich groben Lastwechselreaktionen fallen mir nicht weiter auf. Versteckt man sich richtig hinter der kleinen Scheibe, ist auch der Windschutz auf einmal nicht mehr so schlecht. Erst ab 230 zerrt der heranbrausende Orkan spürbar am Helm. So macht das doch richtig Freude! Runde für Runde fühle ich mich wohler. Jetzt passen auch die Schaltpunkte. Ist die „R“ etwa länger übersetzt?

Mittlerweile fühle ich mich so gut, dass ich vergesse nicht auf dem eigenen Mopped zu sitzen und mit konventionellem Schaltschema unterwegs bin. Es kommt wie es kommen musste. Ich fliege auf die Kurve vor der Mercedestribüne zu und schalte 2 Gänge hoch statt runter. Kurzes Einkuppeln, wieder den Hebel gezogen, 4 Gänge runter gehauen und doch noch im richtigen Gang die Kurve genommen. Faszinierend, wie perfekt ein Getriebe zu schalten sein kann. Aber nicht nur Motor und Getriebe überzeugen plötzlich auf ganzer Linie, auch das Fahrwerk ist eine Wucht. Ist die Ideallinie am Bremspunkt besetzt? Einfach später Bremsen, spitz in die Kurve rein, Aufrichten und hart ans Gas. Mit der „R“ alles kein Problem. Die ab Werk montierten Racetec Interact bieten den nötigen Grip und der nicht einstellbare Lenkungsdämpfer der R-Version erfüllt seine Aufgabe unauffällig aber gut. Kein Kickback stört hier den Vorwärtsdrang.

Richtig angepackt, absolviert die Factory dank ihrer leichteren Felgen und dem besseren Fahrwerk diese Übung vermutlich noch spielerischer. Für Nasenbohrer wie mich ist sie aber nach so kurzer Fahrzeit vielleicht doch einen Tick zu handlich. Aber egal, die „R“ hat alles richtig gemacht und mir damit geniale zwanzig Minuten beschert. Zufrieden fahre ich zurück an die Box. Sogar den Leerlauf finde ich dieses Mal auf Anhieb. Der Tag ist gerettet.

Alles in allem hat Aprilia hier ein perfektes Renngerät mit Straßenzulassung auf die Gummis gestellt. Vor allem die Factory wartet mit vielen Lösungen direkt aus der Rennabteilung und feinen Komponenten auf. Diese Auslegung hat jedoch auch ihre Nachteile. Im Vergleich mit den meisten Supersportlern aus Nippon, fordert die Aprilia im gediegenen Fahrbetrieb auf Landstraße und erst recht im Stadtverkehr in punkto Komfort sicher noch mehr Nehmerqualität von ihrem Besitzer. Wer diesen Punkt verschmerzen kann, wird dafür bei beiden Modellen mit gediegener Verarbeitung und einem genialen, rauen V4-Sound belohnt.

Just my two cents,

Michel

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