Land unter in der MotoGP

Die MotoGP Saison 2016 verlief bisher ziemlich ungewöhnlich. Nicht nur, dass es mit Jack Miller in Assen (NL) und Cal Crutchlow in Brünn (CZ) zwei Außenseiter ganz nach oben aufs Treppchen schafften, nein, es sind vor allem die Bedingungen, die zu den Überraschungssiegern geführt haben. Mehr als ein Drittel der Rennen des Jahres wurden im Nassen gestartet (Flag-to-Flag) und sowohl Miller als auch Crutchlow gingen aus einem Regenrennen als Sieger hervor. Bei den typisch wechselhaften Bedingungen auf der Insel würde es sicher niemanden wundern, wenn es auch beim bevorstehenden England-GP in Silverstone wieder zu einem Regen-Krimi kommt. Asphalt-Süchtig.de hatten am Sachsenring exklusiv die Gelegenheit, Michelin-Motorsport-Chef Nicolas Goubert zum Engagement des Herstellers in der MotoGP und zum Entwicklungsstand der (Regen)Reifen zu befragen.

Die erste Hälfte der MotoG-Saison 2016 wurde bisher vom Wetter geprägt - 4 der 11 Rennen fielen sprichwörtlich ins Wasser

Die erste Hälfte der MotoGP-Saison 2016 wurde bisher von Regenrennen geprägt – wie hier am Sachsenring fielen 4 der 11 Rennen sprichwörtlich ins Wasser

 

Asphalt-Süchtig.de (AS): Monsieur Goubert, die MotoGP Saison 2016 zeichnet sich bisher vor allem durch unberechenbare Wetterkapriolen und Regenrennen aus. Welchen Stellenwert hat denn die Entwicklung von Regenreifen während der Vor-Saison-Tests im Vergleich zur Entwicklung der Slicks?

Nicolas Goubert (NG): Das ist dieses Jahr tatsächlich eine sehr gute Frage. Im letzten Jahr, als Bridgestone noch offizieller Reifenausstatter der MotoGP war, ermöglicht uns die Organisatoren (Anmerk. d. Red.: DORNA) 4 Tests mit den Top-Fahrern während der laufenden Saison. Natürlich waren die Piloten durch die laufende Meisterschaft auf die Bridgestones eingestellt und die Tests waren entsprechend schwierig. Was die Regenreifen betrifft, hatten wir nur einen einzigen Tag mit nassen Bedingungen, das war während des Tests in Brünn. Hier gingen dann tatsächlich nur zwei Fahrer auf die Strecke und es handelte sich dabei um Piloten privater Teams. Das ist auch verständlich, da die Piloten, die um die Meisterschaft kämpfen, natürlich kein unnötiges Risiko eingehen wollen. Realistisch betrachtet war das aber unser einziger, echter Testtag für die Regenreifen. Wir haben selbstverständlich mit unseren (Michelin) Testfahrern getestet, aber das ist noch mal etwas Anderes. Die Entwicklung von Regenreifen ist also ziemlich schwierig, da wir nur sehr wenig Testzeit mit Top-Fahrern haben und die Priorität natürlich auch immer auf der Entwicklung von Slicks liegt, da die Wahrscheinlichkeit für Trockenrennen in der Regel viel höher ist. Die Testtage im Regen sind also äußerst begrenzt. Daher sind wir auch für jede offizielle Session im Nassen sehr dankbar, da wir hier Erfahrungen sammeln und die Reifen weiterentwickeln können.

Nicolas Goubert - Technical Director der Motorsport Abteilung bei Michelin - erläuterte den Stand der Dinge bei den MotoGP Reifen

Nicolas Goubert – Technical Director der Motorsport Abteilung bei Michelin – erläuterte den Stand der Dinge bei den MotoGP Reifen

AS: Welche Rolle spielen die verschiedenen Strecken? Gibt es hier große Unterschiede bei der Entwicklung?

NG: Der Nass-Grip hängt sogar enorm von der Strecke ab. Wir hatten im Frühjahr eine gute Regen-Session im Warm-Up in Argentinien und die Fahrer waren mit der Performance der Regenreifen sehr zufrieden. Wenn man auf einer recht neuen Strecke wie in Argentinien fährt, die noch sehr viel Grip hat, ist natürlich jeder zufrieden. Als wir dann nach Assen gekommen sind, waren wir ziemlich zuversichtlich, dass wir auch hier gute Ergebnisse erzielen würden, da die Strecke früher auch im Regen ein sehr gutes Gripniveau hatte. Umso enttäuschter waren wir, als wir feststellen mussten, dass die Reifen überhaupt nicht zufriedenstellend funktionierten. Da der Sachsenring ein ähnlich niedriges Grip-Niveau hat, haben wir für den Deutschland GP zwei neue Vorderräder mitgebracht – einen neuen, extra soften Regenreifen und einen neuen, asymmetrischen Vorderreifen mit einer weicheren rechten Flanke.

AS: Wie lange dauert es, die Erfahrungen aus den Rennen in die Entwicklung einfließen zu lassen und einen weiterentwickelten Reifen den Fahrern für die Rennen zur Verfügung zu stellen?

NG: Um die Erfahrungen aus Assen umzusetzen und den Regenreifen für den Sachsenring zu entwickeln, haben wir 3 Wochen benötigt. Wir haben in Assen sehr gute Informationen von den Fahrern bekommen und wussten, wie wir den Reifen modifizieren mussten. Daher war die Pause von 3 Wochen zwischen den Rennen ausreichend. Aber das hängt sehr von der Art der Änderungen ab, die umgesetzt werden sollen. Betreffen diese nur die Gummimischungen, dauern Anpassungen normalerweise nicht lange. Soll die Kontur des Reifens angepasst werden, ist das erheblich zeitaufwendiger, da hier neu modelliert und getestet werden muss. 

AS: Am Sachsenring kam zum ersten Mal ein asymmetrischer Vorderreifen zum Einsatz. Wie war hier das Feedback der Fahrer?

NG: Die Resonanz der Fahrer war gut, obwohl es anfangs nicht ganz so optimal aussah. Die erste Trainings-Session fiel mit 15-16° Celsius Asphalttemperatur sehr kühl aus, womit wir überhaupt nicht gerechnet hatten. Hier waren beide Gummimischungen vorne und hinten etwas zu hart. Als die Temperaturen dann aber sommerlicher wurden, waren die Piloten dann doch zufrieden. 

Neues für die Front: Am Sachsenring kam zum ersten Mal ein asymmetrischer Vorderreifen zum Einsatz.

Neues für die Front: Am Sachsenring kam zum ersten Mal ein asymmetrischer Vorderreifen zum Einsatz.

AS: Der Grip am Vorderreifen war während der Vorsaison-Tests und der ersten Rennen das größte Problem von Michelin. Inzwischen gibt es aber deutlich weniger Stürze über das Vorderrad.  Wie haben die Michelin-Ingenieure das Problem in den Griff bekommen und ist der asymmetrische Vorderreifen der nächste Schritt in die richtige Richtung?

NG: Die Form des Vorderreifens war das Hauptproblem und das haben wir durch entsprechende Anpassungen der Reifenkontur in den Griff bekommen. Der nächste Schritt ist nun, die Mischungen anzupassen und hier ist der asymmetrische Vorderreifen ein Schritt in der Entwicklung. Das erste Jahr ist natürlich nicht einfach. Es gibt viele Strecken, auf denen wir keine oder nur wenig Erfahrungen haben und es gibt die, die wir zwar kennen, die sich in den letzten Jahren aber sehr verändert haben. Das erste Jahr ist für uns also ein Lehrjahr. Manchmal bekommen wir es direkt sehr gut hin, wie zum Beispiel in Katar oder Mugello, wo die Rundenzeiten mit Michelin-Reifen auf Anhieb schneller als die aus dem Vorjahr waren, manchmal klappt es im ersten Anlauf überhaupt nicht und es ist etwas schwieriger (lacht). 

AS: Wo liegen aktuell noch die größten Probleme?

NG: Der Vorderreifen war die Baustelle, in die wir bisher den größten Arbeitsaufwand investiert haben und die wir auch am meisten verbessern konnten. Hier gibt es noch einiges zu tun, aber das ist nun mal Teil des Spiels. Wir sind hier angetreten, um die Reifen konsequent zu verbessern und das ist immer ein nie endender, fortwährender Prozess.

 AS: Vielen Dank für das Interview.

 

Text: Michael Praschak Bilder: Asphalt-Süchtig.de

 

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