Sicher durch den Harz

Der Harz gehört zu den bekanntesten Motorradrevieren in Deutschland und wird auch bei Tourenfahrern aus Dänemark oder den Niederlanden immer beliebter. Infolge nimmt auch die Anzahl von Verkehrsdelikten zu. Wo die Ursachen liegen und welche Maßnahmen ergriffen werden, erklärt  Polizeioberkommissar Sebastian Fabich von der Polizei Sachsen-Anhalt.

MP: Hallo Sebastian, Du hast in deinem Berufsalltag als Polizeioberkommissar viele Berührungspunkte mit Motorradfahrern und Motorradfahrerinnen in einer der beliebtesten Motorradregionen Deutschlands zu tun. Was machst Du genau? 

SF: Hallo! Mein Name ist Sebastian Fabich, ich bin verheiratet, habe zwei Kinder und bin Polizeibeamter im Land Sachsen-Anhalt. Ich arbeite dort in der Verkehrsorganisation und bin da wiederum als Ansprechpartner für die Verkehrssicherheitsaktion “Sicher durch den Harz” tätig. Die Initiative gibt es jetzt seit 15 Jahren und wir kümmern uns hier im Rahmen von Präventionsmaßnahmen in Niedersachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen um Motorradfahrende im Harz.

MP: Bei solch einer Aktion haben wir uns kennengelernt.

SF: Ja, das war ein ganz gelungener Einsatz. Damals hatten wir in Rotacker im Oberharz eine kleine Kontrollstelle aufgebaut und ich war mit einem Stand unserer Aktion vor Ort, um mit Fahrerinnen und Fahrern ins Gespräch zu kommen und um auf die Gefahren hinzuweisen.

MP: Wie muss man sich das grundsätzlich vorstellen? Fährst Du selbst Motorrad und kannst dich daher auf Augenhöhe mit Motorradfahrern unterhalten? Und wie kommt man bei der Polizei in den Schwerpunktbereich Motorrad und Prävention? Bist Du schon Motorrad gefahren, als Du bei der Polizei angefangen hast?

SF: Tatsächlich kam erst der Job und dann das Motorrad. Aber ich wollte damals schon Motorrad fahren, da mich der Spaßfaktor schon sehr gereizt hat. Ich habe mir dann vorgenommen, dass ich mir ein Motorrad hole, wenn ich mein Studium abgeschlossen habe. So habe ich es dann auch gemacht. Es war also zuerst Polizist, dann kam das Motorrad.

Polizeioberkommissar Sebastian Fabich ist privat leidenschaftlicher Motorradfahrer und setzt sich im Dienst für die Aktion „Sicher durch den Harz“ ein

Es hat dann aber noch drei, vier Jahre und einige Weiterbildungen und Lehrgänge gedauert, bis ich auch in Kontrollen und für “Sicher durch den Harz” tätig geworden bin. Es gibt ja schon Motorradfahrer, die es drauf anlegen und da ich ja privat Motorrad fahre, hat sich das Interesse entwickelt, im Rahmen von Präventionsarbeit mit Motorradfahrern ins Gespräch zu kommen. Man kann also sagen, dass mein Hobby dann quasi auch zum Beruf wurde.

MP: Auf welchem Modell bist Du privat im Harz unterwegs?

SF: Ich fahre eine schwarz-grüne Kawasaki Z 1000, Baujahr 2011. Die hat mir immer sehr gut gefallen. Es gibt bei meinen Kollegen aber die unterschiedlichsten Typen und von Naked Bike über Tourer bis Cruiser ist hier alles dabei.  

MP: Aktuelle Naked Bikes sind sehr gut motorisiert und hier hätte ich bei einem Polizeibeamten ein etwas weniger sportliches und leistungsstarkes Modell erwartet, damit man gar nicht erst in Versuchung kommt. Hier bedarf es ja doch einiges an Zurückhaltung, oder?

SF: Definitiv. Wir stellen das ja tatsächlich regelmäßig im beruflichen Alltag bei Kontrollen fest. Mir geht es beim Motorradfahren aber nicht ums schnell, sondern ums Kurven fahren. Das ist hier im Harz natürlich sehr gut möglich. 

MP: Dafür ist der Harz wirklich hervorragend geeignet und auch noch nicht ganz so viel befahren, wie zum Beispiel Schwarzwald oder gar die Alpen.

SF: Aktuell ist das noch so, aber auch hier hat sich das in den letzten Jahren stark entwickelt. Während der Corona-Phase gab es einen leichten Rückgang, wir haben aber inzwischen viele Touristen, selbst aus Dänemark und den Niederlanden kommen sowohl Pkw- als auch Motorradfahrer – zum Beispiel für Wochenendausflüge – in den Harz.

MP: Welche Delikte verzeichnet ihr bei Kontrollen am häufigsten?

SF: Die häufigsten Delikte sind Geschwindigkeitsverstöße, ganz klar. Manipulationen gibt es tatsächlich kaum noch. Hier sind es dann auch eher Kleinigkeiten wie ein fehlender Reflektor oder Brems- und Kupplungshebel aus dem Zubehör, die nicht eingetragen wurden. Im Großen und Ganzen geht es aber um Geschwindigkeitsverstöße. Das zeigt sich auch in den Unfallzahlen. Circa 60 Prozent der Unfälle, die durch Motorradfahrende verursacht wurden, sind auf nicht angepasste Geschwindigkeit zurückzuführen. In diesem Bereich sind wir auch aktiv, um das zu kontrollieren.

Anbauteile wie Brems- und Kupplungshebel sind oft legal, müssen aber eingetragen sein. Alternativ ist das Mitführen der ABE möglich.

MP: Wenn man von unangepasster Geschwindigkeit spricht, geht damit aber noch nicht zwangsläufig eine Geschwindigkeitsübertretung einher, richtig?

SF: Das ist richtig. Man muss immer situationsangepasst fahren. Außerorts gilt im Harz oft Tempo 100, abschnittsweise sind aber auch nur 70 km/h oder sogar nur 50 km/h erlaubt.  Es gibt aber Kurven, deren Verlauf auch diese Geschwindigkeiten nicht zulässt. Wenn es hier zum Unfall kommt, ist das eben aufgrund unangepasster Geschwindigkeit. Oft wird aber einfach deutlich zu schnell gefahren.

MP: Daneben gibt es ja im Pkw-Bereich auch den großen Bereich mit Alkohol am Steuer. Spielt das bei Motorradfahrern eine Rolle?

SF: Bei Betäubungsmitteln gibt es hier glücklicherweise fast gar keine Feststellungen. Fahrfehler passieren mit einem einspurigen Fahrzeug wie einem Motorrad natürlich deutlich schneller als mit einem zweispurigen Fahrzeug und umso wichtiger ist es, dass hier kein Alkohol und keine Betäubungsmittel konsumiert werden.

MP: Wir haben jetzt schon verschiedene Delikte angesprochen. Gibt es hier spezielle Gruppen, die besonders häufig auffällig werden? Und gibt es eine Risikogruppe für Unfälle? Vor allem die Gruppe der Wiedereinsteiger scheint ja häufiger in Unfälle verwickelt zu sein.

SF: Pauschal lässt sich das nicht sagen. Es gibt eine leichte Tendenz zu Sportlerfahrern unter 40, aber das ist tatsächlich nur eine leichte Tendenz. Auch Fahrer über 50 oder gar 60 fallen auf und auch mit einem Chopper kann man zu schnell fahren. Was die Unfälle angeht, so hatten wir 2022 im Landkreis Harz über 200 Hundert Unfälle, bei denen Motorradfahrer beteiligt waren. Etwa 140 davon wurden durch den Motorradfahrer verursacht, etwa die Hälfte der Unfallverursacher war dabei über 50 Jahre. Wiedereinsteiger sind hier sicher ein Faktor, denn Motorradfahren muss man auch bezahlen können. Viele Motorräder kosten heute 20.000 Euro oder mehr. Das können sich die meisten jungen Motorradneulinge nicht leisten. Diese Motorräder haben zwar in der Regel viele Sicherheitssysteme an Bord, in die der Fahrer vertraut. Aber sie haben oft auch enorm viel Leistung, die man auch beherrschen können muss. Ein wichtiger Punkt ist auch das Alter an sich. Hier sind manchmal einfach zu lange Touren die Ursache für Fehler. Die Konzentration lässt nach, oder es kommt zu gesundheitlichen Ausfällen.

Geschwindigkeitsverstöße sind das am häufigsten festgestellte Vergehen im Harz, oft in Verbindung mit hochpreisigen und leistungsstarken Motorrädern.

Es ist aber auch immer noch so, dass es ab dem Alter von 15 Jahren losgeht. Sobald ein Mopped im Spiel ist, kann es zu Problemen kommen. Das hält an bis zum Alter von 25. Dann gibt es eine Tendenz nach unten und ab 50 dann wieder stark steigend.

MP: Jetzt haben wir über die Altersverteilung gesprochen, es ging aber immer nur um Männer. Da auch immer mehr Frauen selbst zum Lenker greifen: gibt es hier schon Auffälligkeiten und lässt sich feststellen, dass Frauen in der Statistik häufiger werden?

SF: Meiner Erfahrung nach sind Frauen in der Regel weniger risikobereit als wir Männer. Das sehe ich bei meiner Frau im privaten Bereich, es bestätigt sich aber auch im Arbeitsalltag. Hier gibt es einfach kaum Unfälle, die durch Frauen verursacht wurden. Man muss aber anmerken, dass die Zahl der Motorradfahrerinnen noch so gering ist, dass es hier statistisch kaum Auffälligkeiten geben kann.

MP: Im vergangenen Jahr gab es im Harz gut 200 Unfälle mit Motorrädern, wie Du beschrieben hast, sind mit circa 140 Unfällen etwa 70 Prozent davon durch Motorradfahrer selbst verursacht. Was ist die Hauptursache, wenn Unfälle nicht durch den Motorradfahrer verschuldet wurden?

SF: Der Hauptgrund ist ganz klar, dass man auf dem Motorrad sowohl von vorne als auch von hinten sehr schlecht gesehen wird. Dadurch kommt es vor allem beim Überholen oder Abbiegen zu Unfällen. Typische Situationen sind hier der abbiegende Pkw trotz entgegenkommenden Motorrad und auch der Pkw, der abbiegt, obwohl er gerade von einem Motorrad überholt wird. In beiden Fällen kommt es hier besonders häufig zu tödlichen Unfällen. Speziell für diese Szenarien haben wir 2022 in einer Aktion darauf aufmerksam gemacht, dass man auf dem Motorrad nur eine ganz schmale Silhouette hat und daher sehr einfach übersehen wird. Als Autofahrer nimmt man ein überholendes Motorrad ganz oft erst wahr, wenn es schon direkt neben einem ist und man es hören kann. Daher sollte man darauf achten, Kleidung mit fluoreszierenden oder reflektierenden Elementen zu tragen. Es gibt hier inzwischen auch Helme mit fluoreszierenden Farben. Aus meiner Sicht ist das ein Thema, das viel mehr Aufmerksamkeit erhalten sollte, denn das Abblendlicht reicht hier einfach nicht aus. Es gibt Motorradfahrer, die Zusatzscheinwerfer montiert haben. Das verbessert die Sichtbarkeit. Die meisten werden aber leider immer noch zu schlecht gesehen. Ich habe das auch selbst schon erlebt, als ich mit meiner Frau also Sozia unterwegs war und ein Auto links abgebogen ist, während wir es überholt haben. Glücklicherweise konnte ich einen Unfall mit einer Gefahrenbremsung vermeiden, ich kann hier aber wirklich nur empfehlen, sich zum Beispiel eine Airbag-Weste mit fluoreszierenden Farben zu kaufen. Wir verteilen im Rahmen unserer Präventionsarbeit auch Warnweste. Von denen ist nicht jeder begeistert, aber mit wenigen Euro kann man hier vielleicht sein Leben sichern. Hier kann ich wirklich nur raten: schafft es euch an.

MP: Wie von Dir gerade angesprochen, gibt es ja die Möglichkeit, durch zusätzliche Leuchteinheiten mehr Sichtbarkeit zu erzeugen. Wie sind denn hier die Regelungen und was gibt es zu beachten?

SF: Von Zusatzscheinwerfern oder Suchscheinwerfern sollte man definitiv absehen. Eine gute Möglichkeit sind aber Tagfahrleuchten, die es ebenfalls als Zubehör gibt. Diese müssen dann aber eingetragen sein oder ein e-Prüfzeichen tragen und sie müssen für das Motorrad vorgesehen sein, an denen sie verbaut werden sollen. Eine Kombination von Abblendlicht und Tagfahrlicht ist aber nicht zulässig.

An vielen aktuellen Motorrädern wie der Ducati Supersport 950 S sorgen Tagfahrlichter für mehr Sichtbarkeit.

MP: Kontrollen sind ja nicht nur dafür da, um Verstöße aufzudecken, sondern es geht auch um die Verkehrssicherheit aus technischer Sicht. Mit welchen Delikten habt ihr es hier so zu tun?

SF: Nicht eingetragene oder abgenommene Umbauten sind hier aus technischer Sicht die häufigsten Auffälligkeiten. Dank der allgemeinen Betriebserlaubnis ist das zwar heute sehr einfach, aber diese muss auch mitgeführt werden, da es sich sonst auch um eine Ordnungswidrigkeit handelt. Die Entwicklung geht hier generell deutlich in Richtung Sicherheit. Krasse Umbauten, wie man sie früher vor allem beim Naked Bikes kannte, gibt es fast gar nicht mehr. Es ist schon fast eine Besonderheit, wenn man so ein Motorrad kontrollieren kann und meistens ist dann inzwischen alles eingetragen. Die Tendenz geht ganz klar dahin, sicher schnell zu fahren und Manipulationen findet man kaum noch. Hier haben wir eine sehr positive Entwicklung.

Die normalen Sachen wie ausgebaute dB-Killer gibt es aber natürlich immer noch. Erstaunlicherweise wird das Bußgeld hier einfach in Kauf genommen, klassische Ausreden wie „Ich habe gerade erst die Schraube verloren“ inklusive. Die Betroffenen haben oft den ausgebauten dB-Eater sogar dabei und bauen ihn vor Ort fachgerecht wieder ein. Ich hatte aber auch schon den Fall, dass die Auspuffanlage tatsächlich durchgerostet war. In der Regel wird aber bewusst selbst Hand angelegt.

Zu laute Motorräder und herausgenommene dB-Eater sind immer noch an der Tagesordnung.

MP: Grundsätzlich rückt das Thema Lautstärke mehr und mehr ins Bewusstsein der Branche, wenn man deine Erfahrungen hört, ist das aber in der breiten Masse noch nicht so richtig angekommen, oder?

SF: Nein. Es macht sehr vielen einfach immer noch Spaß, mit hoher Drehzahl durch die Innenstadt zu fahren und vielleicht auch die ein oder andere Fehlzündung zu verursachen. Es gibt hier einfach Leute, die gerne eine Show machen wollen. Das trifft natürlich bei Weitem nicht auf alle Motorradfahrenden zu. Hier dürfen wir auf keinen Fall alle über einen Kamm scheren.

MP: Ein klassisches Beispiel sind hier ja auch die vergessenen Fahrzeugpapiere. Wie verhält es sich denn in diesem Fall aus polizeilicher Sicht? Muss so etwas immer direkt geahndet werden?

SF: Ich denke schon, dass man in gewissen Situationen schon mal das ein oder andere Auge zudrücken kann. Wir haben hier als Polizisten schon einen gewissen Ermessensspielraum im Rahmen der Ordnungswidrigkeit, was bedeutet, dass wir diese ahnden oder auch nicht ahnden können. Anders sieht das bei Straftaten aus. Diese müssen wir verfolgen. Wenn von Ordnungswidrigkeiten keine Gefahr ausgeht, kann man auch auf eine mündliche Verwarnung zurückgreifen. Oder wir schreiben eine Mängelanzeige, sodass ein Nachweis erbracht werden muss. Das ist dann an der Ordnungswidrigkeit vorbei, aber es gibt im Nachgang eben noch mal eine Nachweispflicht an einer Polizeidienststelle. Das funktioniert auch über Landesgrenzen hinweg, sodass jemand, der auf einer Tour bei uns im Harz kontrolliert wird und beispielsweise aus Frankfurt in Hessen kommt, den Nachweis in seiner Heimatgemeinde erbringen kann.

MP: Ob ich in so einer Situation mit einem freundlichen Hinweis oder einer Mängelanzeige davonkomme, hängt doch bestimmt auch mit dem Verhalten der betroffenen Person zusammen. Hat sozialverträgliches Verhalten hier einen positiven Effekt?

SF: Ja, wir sind ja auch nur Menschen. Wir machen unsere Arbeit und wir wollen mit solchen Kontrollen ja auch die Sicherheit erhöhen, was wir, wie ich denke, auch ganz gut machen. Wenn uns dann aber jemand, nach dem der Helm abgesetzt wurde, flapsig von der Seite anspricht, kann es schon passieren, dass man da noch mal genauer hinschaut. Man nimmt sich dann auch mehr Zeit für die Kontrolle. Es ist ein Geben und Nehmen in der Gesellschaft und das gilt auch in so einer Situation. Mit einem ganz normalen Umgang miteinander, ist jedem geholfen. Egal ob von Polizeiseite oder als Bürger.

Der Ton macht die Musik – das Sprichwort gilt auch bei Verkehrskontrollen

MP: Hat sich dieser Umgang in den letzten Jahren gegenüber Beamten verändert?

SF: Ja. Man muss sagen, dass die Corona- Zeit hier nicht sonderlich förderlich war. Die Menschen sind gereizter. Bei Motorradfahrenden muss man aber sagen, dass diese ja meistens ihrem Hobby frönen und sich dafür auch die Zeit nehmen. Sie wissen auch, dass Grenzen gesetzt sind und die Polizei hier hart durchgreifen kann, wenn ein Verstoß festgestellt wird. Wer hier seine Tour fährt, weiß, dass es auch mal Kontrollen geben kann und nimmt es in der Regel dann recht locker. Und wer generell nicht kontrolliert werden will, will es eben auch in der Motorradkontrolle nicht.

MP: Ein wichtiger Sicherheitsaspekt, der nicht die Technik, sondern die Fahrerausstattung betrifft, ist das Thema Helm und hier das getönte Visier. Wie verhält es sich denn im Fall einer Kontrolle, wenn man mit dunklem Visier bei Nacht unterwegs ist?

SF: Es gibt keine Regelung, die besagt, dass getönte Visiere bei Nacht nicht verwendet werden dürfen.   

MP: Gerade technische Änderungen und Manipulationen sind nicht immer leicht zu erkennen. Wie muss man sich die Weiterbildung für das Personal, das speziell bei Motorradschwerpunktkontrollen eingesetzt wird, vorstellen? Und werden elektrisch betriebene Fahrzeuge in diesen Schulungen schon berücksichtigt?

SF: Sowohl die Theorie als auch die praktischen Aspekte werden hier sehr tiefgreifend behandelt und das Ganze dann auch in echten Kontrollen unter Anleitung von Fachpersonal unter realen Bedingungen vertieft. Obwohl ich damals schon Motorrad gefahren bin, war vieles komplett neu für mich. Bis auf den Kennzeichenhalter habe ich an meinem Motorrad nichts umgebaut und hatte nach den Schulungen dann die Kenntnis, was alles möglich ist, und was vorgeschrieben wird, damit es regelkonform ist. Im Rahmen der Weiterbildung hatten wir zum Beispiel ein Mopped, das bei einer Kontrolle beschlagnahmt wurde und dann durch die Staatsanwaltschaft für Schulungszwecke zur Verfügung gestellt wurde. An Zylinder und Krümmer wurde hier alles verändert und am Ende lief das Ding 130 km/h. Wenn man erst mal gesehen hat, was alles möglich ist, sieht man die Welt sprichwörtlich mit anderen Augen. Da mein Lehrgang schon einige Zeit zurückliegt, kann ich zur E-Mobilität keine genauen Angaben machen, ich gehe aber davon aus, dass das Thema inzwischen auch in der normalen Verkehrsausbildung eine Rolle spielt.

Umgebaute Kennzeichenhalter zählen zu den häufigsten Änderungen, die an einem Serienmotorrad vorgenommen werden.

MP: Gibt es bei Dir eine Kontrolle, die dir besonders in Erinnerung geblieben ist?

SF: Eine Kontrolle nicht wirklich, aber es gibt eine andere Situation, die ich sehr ergreifend finde. Ich bin jedes Jahr beim Biker-Gottesdienst bei uns im Kloster Drübeck, bei dem eine Andacht für tödlich verletzte Motorradfahrer durchgeführt wird. Da kommen immer wieder gestandene Motorradfahrer, die sich dann ins Kloster setzen und auch immer mal wieder die ein oder andere Träne vergießen. Das finde ich jedes Mal schon sehr ergreifend.

MP: Als Polizisten macht ihr ja nicht nur Kontrollen, ihr werdet ja auch gerufen, wenn es zu einem Unfall gekommen ist. Vor allem bei Motorradunfällen geht es oft über Blechschäden hinaus und es kommt zu Verletzungen oder gar noch Schlimmerem. Wie geht man damit um? Das ist dann doch sicher etwas, das einen auch nach Dienstschluss lange begleitet, oder?

SF: Absolut und manchmal erkennt man die Belastung auch gar nicht sofort. In erster Linie helfen hier Gespräche. Gespräche mit Vorgesetzten, Gespräche mit Kollegen und man sollte sich auch nicht davor scheuen, ein Kriseninterventionsteam hinzuzuziehen. Und wir haben auch das Angebot der Polizeiseelsorge, mit der man sich ebenfalls austauschen kann. Manchmal erkennt man es tatsächlich nicht und man sollte hier unbedingt Hilfe annehmen, wenn man solche Dinge im Berufsleben erfährt oder sieht, die Folgen haben und Krankheiten auslösen können. Es ist enorm wichtig, sich so etwas von der Seele zu reden.

MP: Vor allem wenn man so einen umfangreichen Blick auf unser liebstes Hobby hat, entwickelt sich oft ein differenziertes Bild. Du hast erwähnt, dass Du Kinder hast und auch Deine Frau den Führerschein machen möchte. Wie siehst Du das Ganze als Außenstehender und als Polizist und Motorradfahrer?

SF: Ja, das ist nicht ganz einfach. Ich kenne die Gefahren und eigentlich möchte ich das nicht. Aber ich begebe mich ja auch in diese Gefahren, genauso wie es jeder tut, der am Verkehr teilnimmt. Egal, ob man zu Fuß unterwegs ist, mit dem Fahrrad, dem Auto oder dem Lkw fährt, man ist immer gewissen Gefahren ausgesetzt. Am Ende muss ich aber sagen, dass es ein sehr schönes Hobby ist, dass ich niemanden untersagen möchte. Das gemeinsame Tourenfahren ist einfach toll und wenn man sich der Sache langsam nähert, kann man das auch gut handhaben.

Vor allem gemeinsame Ausfahrten machen Motorrad fahren zu einem besonderen Erlebnis. (Quelle Adobe Stock).

MP: Gerade um die Gefahren zu minimieren bist Du im Rahmen der Präventionsarbeit aktiv. Wie reagieren die Leute darauf und wie muss man sich diese Arbeit vorstellen?

SF: Das ist eine sehr lockere Situation. Wir kommen mit den Motorradfahrenden ins Gespräch und dann merkt man sehr schnell, ob jemand Lust hat, sich zu unterhalten, oder nicht. Wir wollen ja nichts verkaufen, sondern auf die Umstände hinweisen. Wir zeigen auch mal die Unfallzahlen schwarz auf weiß, um zu zeigen, was im Harz tatsächlich los ist. Dessen sind sich viele gar nicht bewusst. Als Aktion veranstalten wir hier zusammen mit dem ADAC und der Motorradstaffel der Feuerwehr Halle auch jedes Jahr den Tag der Verkehrssicherheit. 2022 hatten wir zum Beispiel den Schwerpunkt auf dem Thema „Erste Hilfe bei Motorradunfällen“. Unser größtes Ziel ist es, die Sicherheit zu erhöhen und daher ist es wichtig, ganz entspannt mit dem Motorradfahrer zu quatschen.

MP: Präventionsarbeit ist das eine, die Politik denkt bei hohen Unfallzahlen gern schnell an Streckensperrungen. Wie blickst Du aus Sicht der Polizei auf dieses Thema?

SF: Streckensperrungen sind wirklich das allerletzte Mittel. Bevor man dazu greift, sollte im Vorfeld von Gesprächen über Änderungen bei den Verkehrszeichen bis Unfallauswertung und Ursachenforschung alle Mittel ausgeschöpft werden. Die Ursachen können vielfältig sein. Maßnahmen wie Rüttelstreifen können zum Beispiel eine Hilfe sein, um Unfälle zu minimieren. In Sachsen-Anhalt gibt es keine Streckensperrung, ich weiß aber natürlich, dass es im Bundesgebiet Strecken gibt, die explizit für Motorräder gesperrt sind. Das kann sinnvoll sein, um Straftaten wie illegale Rennen zu unterbinden und Unfälle zu vermeiden, eine Streckensperrung ist aber ein beachtlicher Einschnitt und sollte das letzte Mittel sein.

MP: Um Geschwindigkeitsverstöße besser ahnden oder vielleicht sogar schon im Vorfeld unterbinden zu können, wird auch immer wieder die Einführung des Frontkennzeichens für Motoräder diskutiert. Wie stehst Du dazu?

SF: Ein Kennzeichen vorne am Motorrad ist sicher nicht so schlecht, ich halte es aber für fraglich, ob es den Zweck erfüllen würde. Unsere Messtechnik ist inzwischen so weit fortgeschritten, dass wir auch das hintere Kennzeichen erfassen. Da es in Deutschland aber keine Halterhaftung gibt, ist die Herausforderung nachzuweisen, wer tatsächlich gefahren ist. Das ist beim Pkw genauso. Das würde sich mit einer Halterhaftung vermutlich schlagartig ändern und wir hätten nur noch ganz wenige Verstöße. Viele Verkehrsteilnehmer nehmen ein Bußgeld billigend in Kauf und selbst ein Punkt ist oftmals nicht abschreckend. Erst wenn der Führerschein eingezogen und es vielleicht sogar mit der Arbeit problematisch wird, wird es für die Leute interessant. In anderen Ländern wird da deutlich rigoroser vorgegangen.

MP: An dieser Stelle lohnt ein Blick zu unseren österreichischen Nachbarn, wo Polizeibeamte die Geschwindigkeit auch schätzen dürfen. In Italien dürfen Motorräder auch direkt beschlagnahmt werden. Wären das auch Optionen für Deutschland?

SF: Von Schätzungen halte ich generell nicht viel. Wir legen hier ganz viel Wert auf unsere Technik, die ja geeicht sein und wo alles passen muss. Da ist das Thema schätzen schwierig. Und die Erfahrung aus Geschwindigkeitskontrollen zeigt auch, dass man Geschwindigkeit oft falsch einschätzt. Beschlagnahmungen finde ich sehr hart. Aktuell kommen wir aber dadurch in eine gute Richtung, dass die Bußgelder für Geschwindigkeitsverstöße erhöht wurden. Wir verzeichnen dadurch auch einen minimalen Rückgang der entsprechenden Verstöße. Das Geld ist aktuell allgemein etwas knapper und wenn dann ein Bußgeld in Höhe von 250 Euro dazu kommt – und hier sind wir noch nicht im Bereich eines Fahrverbots – dann ist das schon eine recht hohe Nummer.

Moderne Anlagen zur Geschwindigkeitskontrolle ermöglichen auch die Erfassung des hinteren Kennzeichens (Quelle Adobe Stock)

MP: Auch bei den Motorradfahrern hat sich die Technik weiterentwickelt und Action Cams an Helm oder Motorrad gehören schon fast zum Standard. Dürfen die Aufnahmen im Fall einer Kontrolle als Beweismittel genutzt werden?

SF: In den Kontrollen ist es mir noch nicht so oft begegnet, ich habe privat aber tatsächlich selbst schon eine Kamera genutzt. Solange das Material nicht veröffentlich wird, ist das auch kein Problem. Jeder hat als Privatperson aber Rechte und sollte das Material veröffentlich werden, gibt es einiges zu beachten. So müssen Kennzeichen und Gesichter unkenntlich gemacht und Stimmen verfremdet werden. Das ist das eine. Im Rahmen von Straftaten können wir diese Aufnahmen aber nutzen. Das ist zum Beispiel dann der Fall, wenn illegale Rennen gefahren wurden. Dafür bedarf es aber der Zustimmung der Staatsanwaltschaft. Auch bei Unfällen können solche Aufnahmen hinzugezogen werden, sollten Straftaten wie zum Beispiel eine fahrlässige Körperverletzung im Raum stehen. Schwierig wird es dann, wenn auf der einen Seite das Beweismittel und auf der anderen Seite das private Interesse in Form des Rechts auf informelle Selbstbestimmung steht. Wenn diese Punkte im Konflikt stehen, muss entschieden werden, wo das größere öffentliche Interesse steht.

MP: Wie liefe das denn konkret in einer Geschwindigkeitskontrolle, wenn zum Beispiel für ein Motorrad einer Gruppe die Geschwindigkeit gemessen werden konnte und bei einer zweiten Person die Action Cam am Helm noch aufzeichnet. Kann das Material dann einfach beschlagnahmt werden?

SF: In so einer Situation muss dann vor Ort genau abgewogen werden. Die Übertretung muss zum einen in Form einer Aufnahme des Tachos dokumentiert sein und die Übertretung muss auch im Rahmen einer Straftat wie zum Beispiel eines illegalen Rennens liegen. Aber auch dann Bedarf es noch der Zustimmung der Staatsanwaltschaft.

MP: Ab wann handelt es sich denn um ein illegales Rennen? Und kann die Staatsanwaltschaft bei einer Polizeikontrolle so schnell zu Rate gezogen werden?

Action Cams kommen bei Motorradtouren regelmäßig zum Einsatz, das Material darf aber nur im privaten Rahmen genutzt werden.

SF: Absolut. Dafür gibt es hier Bereitschaftszeiten und die Staatsanwaltschaft kann jeder Zeit direkt eingeschaltet werden. Um ein illegales Rennen handelt es sich dann, wenn die Absicht erkennbar ist, dass Höchstgeschwindigkeiten erreicht werden sollen. Dafür müssen nicht zwangsläufig mehrere Fahrzeuge beteiligt sein.

MP: Wir haben im Rahmen des Gesprächs die unterschiedlichsten Aspekte des Verhältnisses zwischen Polizei und Motorradfahrenden angesprochen. Hast Du als Polizist und Motorradfahrer zum Schluss eine Botschaft für alle Motorrad-Fans?

SF: Wenn man mit dem Motorrad unterwegs ist, sollte man immer daran denken, dass es jemanden gibt, der möchte, dass man wieder heile zu Hause ankommt. Dementsprechend sollte man versuchen, seiner Leidenschaft gerecht zu werden und sich im Straßenverkehr an die Regeln halten. Motorradfahren ist ein schönes Hobby, man darf aber nie vergessen, dass es immer voller Konzentration bedarf.

MP: Vielen Dank für dieses Schlusswort und das interessante Gespräch.

Ein abgefahrener Reifen ist nicht nur ein Sicherheitsrisiko, sondern schlägt im Fall einer Kontrolle auch mit 60 Euro Bußgeld und einem Punkt ins Flensburg zu Buche

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