Mehr als ein Lückenfüller

Das Jahr 2018 war für Fans der Marke Honda von großen Veränderungen geprägt. Zehn Jahre nach der Ankunft der ersten CB 1000 R wurde nicht nur der Nachfolger des japanischen Kassenschlagers vorgestellt, das neue Modell läutete gleich eine neue Ära ein. Honda kehrte dem klassischen Naked Bike den Rücken und schuf mit der NEO SPORTS CAFE Philosophie nicht nur ein völlig neues Konzept, sondern stellte mit der CB 1000 R, der CB 125 R und der CB 300 R gleich eine ganze Modellreihe auf die Räder. Alle drei Motorräder folgten der neuen Designsprache und polarisierten als Neuankömmlinge im jeweiligen Hubraumsegment. Im hart umkämpften Mittelklassemarkt blieb aber eine Lücke. Zur Saison 2019 schließen die Japaner nun eben diese und bringen mit der neuen CB 650 R nun das Modell, das auch im Segment der A-Führerschein-Neulinge und der Wiedereinsteiger um die Gunst der Kunden buhlen soll.

Neuankömmling: Die CB 650 R schließt ab der Saison 2019 die Lücke in der Mittelklasse in der NEO SPORTS CAFE Reihe von Honda.

Alles NEO

Eines muss man Honda dabei lassen – konsequent sind sie. Nachdem die NEO SPORTS CAFE Serie und hier allen voran die CB 1000 R vor allem aufgrund des Designs von Kundenseite viel Kritik einstecken musste, war zu Saison 2019 mit der CB 650 F ein weiterer Topseller fällig und wurde – nun ebenfalls mit der neuen Design-DNA geimpft – als CB 650R neuaufgelegt. Aber die Japaner sind natürlich lernfähig.

Auf den ersten Blick fügt sich der Neuankömmling perfekt in die NEO SPORTS CAFE Serie ein. Wie alle Modelle trägt sie die typische Kombination aus dem sehr kurz bauenden LED-Scheinwerfer und den recht schicken Blinkern, eine Up-Side-Down-Gabel, den Blenden links und rechts des Tanks sowie die schmale und puristisch anmutende Sitzbank. Die neu designte Front der CB 1000 R hat im vergangenen Jahr nicht nur Freunde gefunden, größter Kritikpunkt bei der großen Schwester waren aber der futuristische und vor allem voluminöse Auspuff sowie der an der Schwinge montierte Kennzeichenhalter. Und genau hier unterscheidet sich die 2019er Mittelklasse CB von Ihren Schwestern. Im Gegensatz zur Tausender wird das Nummernschild hier klassisch an einem riesigen Plastikausleger am Heck befestigt. Ob das die bessere Lösung ist, darüber lässt sich streiten.

Die Front der CB 650 R ist typisch NEO SPORTS CAFE und sieht der großen CB 1000 R zum Verwechseln ähnlich.

Dass muss man bei der Auspuffanlage der 650 R ganz sicher nicht. Die Kurze Under-Engine-Lösung mit Aluminium Abdeckung erinnert an die der Vorgängerin und fällt nicht nur deutlich kleiner aus als die Endtöpfe der CB 1000 und CB 300 R, sie wirkt besonders in Kombination mit dem, wie bei der Vorgängerin in dunklen Farben lackierten Motor und den schicken Edelstahlkrümmern sogar äußerst wertig. Das trifft so auch auf die gesamte Front der CB 650 R zu, die mit der neuen, bronzefarbenen USD-Gabel und den radial verschraubten Bremssätteln aus dem Hause Nissin deutlich sportlicher und erwachsener wirkt. Abgerundet wird der optische Ersteindruck durch die neuen Felgen, die sich mit Ihrer bronzefarbenen Lackierung sehr gut ins Gesamtbild einfügen.

Schicke Kombi: Der Edelstahlkrümmer, der in schwarz und bronze gehaltene Motor, der kurze Endtopf und die bronzefarbenen Felgen ergeben ein stimmiges Gesamtbild

Feinarbeit

Aber nicht nur optisch hat sich einiges getan. Motor und Rahmen basieren zwar noch auf der Vorgängerin, blieben fürs Modell-Update aber nicht unangetastet. Der Blick ins Datenblatt verrät, dass die CB 650 R mit 95 PS jetzt nicht nur 4 PS mehr Leistung generiert, sondern auch ganze zwölf Pfund Gewicht abgespeckt hat und nun 202 Kilo auf die Waage bringt. Während sich für den angegebenen Leistungszuwachs hauptsächlich Feinarbeiten wie eine Anpassung der Steuerzeiten, eine Erhöhung der Verdichtung (nun 11,6:1) und eine Optimierung der Luftzufuhr der Airbox verantwortlich zeichnen, musste für die Gewichtsersparnis ein Teil des Rahmens neu entworfen werden. Hier wurden allein durch die Neugestaltung im Bereich der Schwingenaufnahme knapp 2 Kilogramm Gewicht gespart. Im Zuge der Überarbeitung wurde auch die Steifigkeit des Rahmens optimiert, was für ein ausgewogeneres Fahrverhalten und besseres Feedback sorgen soll. Mehr Feedback, besseres Fahrverhalten, weniger Gewicht – alles Dinge, die man sprichwörtlich erfahren muss. Also nichts wie rein in die Motorradklamotten und ab aufs Bike.

Nicht nur Zierrat: Die Lufteinlässe hinter den Blenden sind nicht nur Show, sondern helfen tatsächlich bei der Befüllung der Airbox.

Wohlfühlfaktor

Schon beim ersten Platznehmen stellt sich auf der CB 650 R das typische Honda-Gefühl ein. Das Sitzpolster empfängt den Piloten mit seinen 810 Millimeter eher auf als im Motorrad, ohne dabei für kleine Fahrer zu hoch zu sein. Der Knieschluss des neu designten, nun auch etwas leichteren Tanks ist angenehm schmal und die Position der Rasten, die im Vergleich zur Vorgängerin die Winzigkeit von drei Millimeter nach hinten und 6 Millimeter nach oben gewandert sind, sorgt für einen angenehm sportlichen, aber nicht zu engen Kniewinkel. Hier gibt es wirklich nichts zu beanstanden. Manchmal liegen zwischen gut und „optimal“ wohl tatsächlich nur Millimeter. Etwa deutlicher fallen da schon die Änderungen an der Lenkstange aus. Die Lenkerenden sitzen nun nicht nur 8 Millimeter tiefer, sondern auch 1,3 Zentimeter weiter vorne und liegen so ziemlich perfekt zur Hand. Die Sitzprobe besteht die CB 650 also mit Bravour. Aber wie fühlt sich das Ganze im Fahrbetrieb an?

Schon auf den ersten Metern der Jungfernfahrt musste sich das neue Mitglied in der NEO SPORTS CAFE Familie einer echten Härteprüfung stellen. An einem späten Nachmittag im Herzen Münchens in Empfang genommen, hieß es auf dem Weg Richtung Motorradrevier, sich durch die Innenstadt und die Blechlawinen des Feierabendverkehrs zu schlängeln. Und schon unter diesen Bedingungen wusste die CB zu begeistern. Die „Kleine“ ist zwar mit Ihren 202 Kilogramm alles andere als Leichtgewicht. Dank der sehr gelungenen Ergonomie und des breiten Lenkers hat man aber nicht nur sofort vollstes Vertrauen und viel Gefühl fürs Motorrad, man wuselt damit auch absolut spielerisch durch den Verkehr und schlüpft auch durch kleine Lücken, durch die man sich mit einem unbekannten Motorrad normalerweise eher nicht getraut hätte.

Die 810 Millimeter hohe Sitzbank sieht nicht nur gut aus, sie vermittelt auch viel Gefühl fürs Motorrad bietet einen ordentlichen Sozius-Platz.

Zum Glück hat auch die schlimmste Rush Hour irgendwann sein Ende. Bleibt nach der Arbeit aber nur wenig Zeit zum Motorradfahren und will man die verlorene Zeit wieder gut machen, legt man auf dem Weg ins Kurvenparadies auch mal eine schnelle Autobahnetappe ein, statt sich über die zwar eigentlich schönere, aber geschwindigkeitsbeschränkte Landstraße der Hausstrecke zu nähern. Auch hier gibt sich die CB keine Blöße. Der Windschutz ist erwartungsgemäß natürlich bescheiden, macht man sich auf der flachen Sitzbank aber lang, peitscht man die CB jedoch überraschend zügig an die 200 km/h Schallmauer. Mehr geht hier nicht und mehr will man auf der CB 650 R eigentlich auch nicht.

Quirliges Landstraßenfeger

Nach wenigen Kilometern kommt endlich die erlösende Abfahrt. Also Blinker gesetzt, um endlich die kleinen Landstraßen in Richtung Voralpen unter die Räder zu nehmen. Und schon der erste, zügig genommene Kreisverkehr nach der Autobahn setzt endlich Glückshormone frei. Die CB wuselt hier schon so flink hindurch, dass man die ersten winkeligen Sträßchen kaum noch erwarten kann. Schnell noch das letzte Dorf hinter sicher gelassen und dann heißt es endlich „Feuer frei“. Bereits nach den ersten Kurven gehen die Mundwinkel nach oben. Die Kleine verlässt spielerisch die Mittellage, fällt dann förmlich in Schräglage, erlaubt im Kurvengewirr kinderleicht Richtungswechsel und sorgt so für jede Menge Fahrspaß. Doch was bereitet noch mehr Freude als die Kurvenhatz? Genau, die Kurvenhatz zu zweit. Glücklicherweise findet sich schnell ein Spielgefährte auf einem sportlichen Vierzylinder-Naked-Bike bajuwarischer Bauart. Auch der BMW-Fahrer ist zum Spielen aufgelegt und erhöht beim Anblick des LED-Scheinwerfers der CB im Rückspiegel das Tempo. Will man mit so einer Bayern-Rakete aber auch nur ansatzweise mithalten, muss man bei der CB ganz in schön am konventionellen, aber leichtgängigen Gasgriff drehen.

Kurvige Landstraßen sind das ideale Terrain für die CB 650R.

Zwar zeigt sich das 649 Kubikzentimeter große Honda-Triebwerk extrem agil und dreht willig bis zum roten Bereich, der seit diesem Jahr erst tausend Touren später und bei 12.000 Umdrehungen ansteht, die hier wartenden 95 Ponys müssen aber konsequent abgerufen werden, um auch nur den Hauch eine Chance gegen ein 1000er Aggregat zu haben. Und so stellt man die Brause ständig so schnell wie möglich auf Anschlag, um irgendwie am Heck eines solchen Kraftprotzes dran zu bleiben. Das nötige Vertrauen für frühes Vollgas in Schräglage schafft dabei die Traktionskontrolle, die die Japaner dem CB-Triebwerk für das Modelljahr 2019 spendierten. Ebenfalls neu: eine Anti-Hopping-Kupplung. Da die Gänge des enggestuften Getriebes während der Verfolgungsjagd aber nicht nur runter, sondern in beide Richtungen fleißig bedient werden wollen, sehnt man als Pilot, trotz des sehr leichtgängigen Getriebes, alsbald auch einen Schaltassistenten herbei.

Und noch etwas wäre vor allem bei flotter Gangart auf schlechtem Belag wünschenswert – ein sensibleres Fahrwerk. Wie die sehr ordentlich verzögernde Bremsanlage mit den 310 Millimeter messenden Scheiben und den radial verschraubten Nissin-Blöcken wurde auch die Federelemente der CB sportlicher ausgelegt, die Abstimmung des nicht einstellbaren Showa-Fahrwerks hätte aber gern einen Tick softer ausfallen dürfen. Das spürt man vor allem dann, wenn man mit Sozius oder Sozia unterwegs ist. Im Zwei-Personen-Betrieb funktioniert das Fahrwerk nämlich tadellos. Doch während ich noch über die optimale Dämpfung für die CB sinniere, fängt es langsam an zu tröpfeln und es wird Zeit, den Rückweg anzutreten.

Unflexibel: Nur die Vorspannung das Federbein ist einstellbar, ansonsten zeigt sich das Fahrwerk unflexibel und könnte etwas sensibler agieren.

Die Gefällige

Auf der Heimfahrt lasse ich noch einmal die gesammelten Eindrücke Revue passieren und eins wird dabei ganz schnell klar: Die neue CB 650 R ist alles andere als ein Lückenfüller. Mit dem nun ausgereiften Design ist sie jetzt optisch nicht nur das gefälligste Modell der Neo Sports Cafe Serie, dank der Upside-Down-Gabel und der neuen Felgen wirkt sie auch deutlich edler als die Vorgängerin CB 650 F. Hierzu tragen auch die geänderte Sitzbank und das neue Design des Hecks bei.

Aber auch sonst ist das Paket sehr stimmig. Der drehfreudige Motor sorgt mit seinen 95 PS für ordentlichen Vortrieb, auch wenn hierfür das Getriebe fleißig bedient werden will. Aufgrund der Leichtgängigkeit und der nun verbauten Anti-Hopping-Kupplung ist das aber überhaupt kein Problem. Besonders erfreulich ist an der CB aber die Ergonomie, die Honda-typischen keine Wünsche offenlässt und sowohl unter allen Bedingungen, als auch vermutlich für fast jeden Fahrer nahezu perfekt funktionieren sollte. Hätte sie jetzt noch ein etwas sensibleres Fahrwerk und eine etwas weichere Sitzbank, wäre sie zweifelsohne das beste Motorrad der Neo Sports Cafe Serie.

Der Rahmen stammt zwar in seiner Grundform noch aus der Vorgängerin, im Bereich der Schwingenaufnahme wurde er aber umfangreich überarbeitet und so um knapp 2 Kilogramm erleichtert.

Windschutz findet man hinter der puristischen Front der CB nicht wirklich.

 

Da freut sich der Zubehörhandel: der Kennzeichenhalter ist fast so lang wie die Sitzbank.

Warum Honda bei einem Einsteiger- bis Mittelklasse-Motorrad, dass auch für kleinere Personen und Frauen gedacht ist, keine einstellbaren Kupplungshebel verbaut, bleibt ein Rätsel. Über den grauen Knopf kann die Traktionskontrolle ein- und ausgeschalten werden.

Die Bremse sieht nicht nur sportlich aus, sie bremst auch so.

Die CB 650 R hat die schönste Hinterhand der NEO SPORTS CAFE Familie.

Das Display der 650er fällt etwas kleiner aus als das der großen CB 1000 R.

Der Tank der CB 650 bietet einen angenehm sportlichen Knieschluss.

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