Verzichten liegt voll im Trend. Egal, wo man auch hinschaut, überall werden Dinge einfach weggelassen. Großstädter verzichten immer häufiger auf das eigene Auto, Veganer verzichten auf tierische Produkte und die kleine Gruppe der Workaholics, die noch nicht dem Burn-Out zum Opfer gefallen ist, verzichtet auf den Jahresurlaub. Es soll sogar Leute geben, die völlig auf Alkohol verzichten.
Ich muss gestehen, die meisten Formen dieses Verzichts sind mir fremd und kämen für mich einer schmerzlichen Entbehrung gleich. Ganz abgesehen davon, dass ich bei vielen Dingen gar nicht die Notwendigkeit erkenne, sie vollends aus meinem Leben zu verbannen. Es gibt aber Bereiche, in denen das Weglassen auch für mich durchaus attraktive Seiten hat. Im Motorsport zum Beispiel.
Am ersten Maiwochenende fand im holländischen Hengelo der erste Lauf zur International Road Racing Championship 2014 statt und auch hier wurde die „Weniger ist mehr“-Philosophie aktiv gelebt. Allerdings ist der Umstand, dass es Manches hier gar nicht oder wenn, nur in etwas verkleinerter Form gibt, von Beginn an Teil der Faszination. Großzügige Boxenanlagen findet man am Varsselring genauso wenig, wie ausladende Tribünenkomplexe oder riesige Besucherparkplätze. Bei den meisten Veranstaltungen auf permanenten Rennstrecken sind diese zwar im Überfluss vorhanden, ein wirklicher Bedarf daran besteht bei Motorradrennen allerdings meistens nicht.
Aber auch die Strecke selbst zeichnet sich mehr durch die „kleinen“ Dinge aus. Der Kurs ist mit zwar 4,878 km länger als die GP-Variante des Hockenheimrings, gleicht bei der Breite aber eher einem gut ausgebauten Radweg. Auch die wenigen Sturzzonen sind von ihrer Größe mehr Sandkästen als Kiesbetten und die Boxengasse ist so klein, dass man sie eigentlich nur für Pocketbike-Teams öffnen sollte. Und trotzdem war die Veranstaltung mindestens so interessant, wie der Auftakt der IDM-Saison, der zur gleichen Zeit am Lausitzring stattfand. Denn es wurde nicht nur erstklassiger Motorsport geboten, sondern man konnte hier auch Rennsport in seiner ursprünglichsten Form erleben – Road Racing eben.
Im Gegensatz zu großen Motorradrennen sind Veranstaltungen im Hobbybereich typischerweise Zweitages-Events und die Anreise der Teams erfolgt in der Regel am Freitagabend, häufig sogar erst in der Nacht zum Samstag. Durch den Feiertag am 1. Mai gestaltete sich zum ersten IRRC Rennen aber alles etwas entspannter und so war das Fahrerlager bereits am frühen Freitagnachmittag gut gefüllt. Wie beschrieben, gibt es bei Straßenrennen in der Regel keine permanente Boxenanlage und dank der, als idyllisch zu bezeichnenden Lage des Varsselrings, knapp 40 Kilometer östlich von Arnheim, wird das Fahrerlager hier sprichwörtlich auf der grünen Wiese aufgeschlagen.
Es starten bei der IRRC zwar keine professionellen Fahrer und viele Teams nutzen Wohnwagen, Zelten oder Wohnmobilen als Boxenersatz, wer jetzt aber glaubt, es herrschte nur lockere Camping-Atmosphäre, der liegt falsch. Neben der IRRC fand in Hengelo unter anderem auch das dritte Rennen zur holländischen Meisterschaft ONK statt und was hier teils auf dem Acker aufgebaut wurde, erinnerte mehr an Superbike Weltmeisterschaft, als an Straßenrennen in der holländischen Provinz. Ebenfalls bemerkenswert: Sowohl bei den ONK Supersportlern, als auch bei den Superbikes wat deutlich der Trend zum Zweitmopped zu erkennen.
Alles neu
Durch den Feiertag am Freitag gestalteten sich Anreise, Aufbau und die technische Abnahme zwar recht entspannt, das Rennwochenende selbst war aber dicht gepackt. Von den Rennen der IRRC, über die verschiedenen Klassen der ONK, bis hin zu Klassikrennen mussten Qualifyings und Rennen für insgesamt 8 verschiedene Klassen im engen Zeitplan untergebracht werden. Der Ablauf war daher so eng gesteckt, dass auf ein erstes Warm-Up zum Kennenlernen der Strecke verzichtet und am Samstagmorgen gleich mit dem 1. Qualifying zur IRRC Supersport begonnen wurde. Keine optimalen Bedingungen für Road-Racing Frischlinge, zumal der Start schon um 8 Uhr morgens stattfand und das Thermometer nur empfindlich kalte drei Grad anzeigte. Auch unser Rookie Daryl Dörlich vom Team Bornhäusser Motorsport war von den Bedingungen beim Erstkontakt mit der Strecke alles andere als angetan.
Um die Situation etwas zu entschärfen, mussten die Neulinge auf der Strecke, ähnlich wie auf der Isle of Man, Warnwesten tragen, um die schnellen Piloten auf das mögliche Gefahrenpotential hinzuweisen und so Unfällen vorzubeugen. Dass diese Sicherheitsmaßnahme durchaus berechtigt war, zeigte der Blick auf die gefahrenen Zeiten im ersten Zeittraining. Marcel Zuurbier, der Schnellste am Samstagmorgen, setzte mit seiner 1:57,196 nicht nur ein erstes Ausrufezeichen, sondern fuhr damit auch fast 25 Sekunden schneller als Daryl, der auf dem dreißigsten und letzten Platz nun nicht nur ein grünes Leibchen, sondern auch die rote Laterne trug. Dies sollte sich im Verlauf des Wochenendes aber noch deutlich ändern.
Ebenfalls mehr als beachtlich war die Bestzeit, mit der der ONK-Pilot Arie Vos im anschließenden Quali 1 zur IRRC Superbike gestoppt wurde. Mit einer 1:49,712 war er fast zwei Sekunden schneller als sein holländischer Landsmann Nigel Walraven und es deutete sich hier schon an, wen man an diesem Wochenende fest für das Treppchen mit einplanen musste. Sowohl der amtierende Champion der IRRC Superbike, Didier Grams, als auch der Supersportmeister 2013, Laurent Hoffman, hielten sich mit den Plätzen 4 und 5 in ihren ersten Trainings noch etwas bedeckt.
Quali 2
Da die Trainingszeit sehr begrenzt war, hatten sich sowohl viele der IRRC-Fahrer als Gaststarter zu den Läufen der ONK eingeschrieben, als auch umgekehrt einige der ONK-Piloten bei der IRRC genannt. Auch Frischling Daryl, der sowieso jeden Übungskilometer brauchen konnte, und Teamchef Marc, der nach 8 Jahren Hengelo-Abstinenz ebenfalls fast wieder als Anfänger am Varsselring zu betrachten war, hatten sie sich zu den ONK-Läufen eingeschrieben.
Und die zusätzlichen Turns machten sich bezahlt. War Daryl am Morgen noch sehr verhalten zu Werke gegangen, konnte er sich im zweiten Quali um fast 18 Sekunden verbessern und parkte sein Motorrad damit auf Startplatz 23. Auch Marc Bornhäusser war im ersten Durchgang etwas hinter den eigenen Erwartungen zurückgeblieben, konnte sich jetzt aber noch mal erheblich steigern. Zwar verpasste er mit einer 1:58,155 die angepeilte Platzierung in den Top Ten um zwei Plätze, nachdem durchwachsenen ersten Qualifying war Position 12 dann aber ein versöhnliches Ergebnis.
Auch an der Spitze gab es noch einiges an Bewegung. Mit einer pfeilschnellen 1:53,749 hatte sich der Belgier Timothy Baken Startposition eins gesichert und war damit knapp eine halbe Sekunde schneller, als der aktuelle Titelverteidiger Laurent Hoffmann auf Platz 2. Drittschnellster war Joey den Besten und komplettierte so die erste Startreihe.
Und noch etwas hatte sich getan: War im ersten Durchgang noch Georg Fröhlich der schnellste Deutsche auf dem Varsselring, prügelte nun Thomas „The Crazy German“ Kreutz sein R6 in 1:54,734 um den Kurs und war nun der einzige, der den Speed der Belgier und Holländer ansatzweise mitgehen konnte. Allerdings war sein 4. Startplatz zu diesem Zeitpunkt noch alles andere als sicher, da er als Nachrücker noch auf den Ausfall oder die Nicht-Qualifikation eines Dauerstarters hoffen musste.
Hatten die ONK-Fahrer und IRRC Gaststarter Arie Vos und Nigel Walraven schon im ersten Zeittraining gezeigt, dass an diesem Wochenende kein Weg an ihnen vorbeiführen würde, wurden die Karten bei den Dauerstartern noch mal neu gemischt. Didier Grams machte seinem Ruf als Champion alle Ehre und stellte seine BMW auf Startplatz drei. Dahinter folgten Nelson Rolfes und Kevin Bos. Auf Position 12 stand mit Thomas Kreutz wieder ein alter Bekannter aus der SSP-Klasse. In typischer Road Racing Manier fuhr er nicht nur bei den Supersportlern, sondern startet gleich in beiden Klassen. Erstaunlicherweise hatte er den Kurs mit seiner 600er sogar gut eineinhalb Zehntel schneller umrundet als bei den Superbikes mit der S 1000 RR.
Neben den beeindruckenden Rundenzeiten gab es während des Trainings noch zwei weitere Besonderheiten zu beobachten. Zum einen ging mit der Moto2-Maschine von Hendrik Voit ein echter Technik-Exot an den Start und zusätzlich bereicherte mit Insa Jäschke auch eine Frau das IRRC-Starterfeld. Leider verpasste sie die nötige Qualifikationszeit und durfte bei den Rennen am Sonntag leider nicht starten. Hoffentlich sieht es für Insa beim nächsten Rennen in Oos wieder besser aus.
Der Renntag
Nachdem der Samstag sturztechnisch glücklicherweise sehr ruhig verlaufen war, begann der Renntag während der Warm-Ups leider weniger erfreulich. Hatten sich die Fahrer inzwischen gut auf den Kurs eingeschossen und sich das Tempo dadurch erheblich erhöht, so waren die Bedingungen am Sonntagmorgen wieder ähnlich unwirtlich wie am Vortag. Und die Kombination aus niedrigen Temperaturen und deutlich höherem Speed forderten ihren Tribut. Sowohl bei den Supersportlern als auch bei den Sidecars gab es im Warm-Up heftige Abflüge, die leider auch das Ausrücken der Ambulanz nötig machten. Leider sollte es an diesem Tag nicht bei einem Einsatz bleiben.
Showtime
Richtig ernst wurde es dann gegen Mittag, als um kurz vor Zwölf das erste von zwei Rennen zur IRRC Supersport gestartet wurde. Wie zu erwarten, konnte der Trainingsschnellste Timothy Baken auch den Start für sich entscheiden und führte das Feld beim Einbiegen in die erste 90-Grad-Rechts nach Start und Ziel an. Leider sollte seine Führungssphase hier auch schon zu Ende gehen. Mit den noch kalten Reifen etwas zu früh am Gas, ging er beim Herausbeschleunigen unsanft zu Boden und das Rennen für ihn schon nach wenigen hundert Metern zu Ende.
Aber auch ohne den schnellen Belgier sollte es ein spannender Kampf um den ersten Sieg des Jahres werden. In die Bresche sprang Thomas Kreutz, der seine Nachnominierung nutzte und in Führung liegend aus der ersten Runde kam. Doch schon jetzt war Titelverteidiger Laurent Hoffmann in Schlagdistanz, übernahm dann in Runde 3 die Führung und sollte sie bis zum Ende auch nicht wieder abgeben. Hinter dem Führenden lieferten sich Thomas Kreutz und der Holländer Marcel Zuurbier noch einen spannenden Zweikampf, den der Deutsche dann in Runde sieben für sich entscheiden konnte. Die die hölzerne Medaille sicherte sich der Tscheche Marek Cerveny und sorgte so dafür, dass die erste vier Plätze mit vier verschiedenen Nationalitäten belegt waren.
Für die Piloten des Team Bornhäusser hätte das Rennen gegensätzlicher nicht verlaufen können. Während Daryl sich nach seinem Start von Platz 23 im Verlauf des Rennens auf Platz 17 verbessern konnte, verpasste Marc in der ersten Runde den Eingang zur Schikane und viel dadurch weit zurück. Die anschließende Aufholjagd kostet ihn so viel Zeit, dass er den ersten Lauf nur auf Platz 15 beendete.
Lauf 2
Auch im zweiten SSP-Lauf des Tages waren es Laurent Hoffmann, Marcel Zuurbier und Thomas Kreutz, die von Anfang die Pace vorgaben. Zwar war der Rennspeed nicht mehr ganz so hoch wie noch am Mittag, dafür schenkten sich die drei aber nicht einen Zentimeter und lieferten dem Publikum Motorsport vom Feinsten. Schien es anfangs so, als könnte Laurent Hoffmann auch diesen Lauf wieder ungehindert nach Hause fahren, machten Kreutz und Zuurbier dem Belgier ab Runde 3 einen Strich durch die Rechnung und erkämpften sich immer wieder die Führung. Der Dreikampf endet leider unschön in der siebten Runde 7, als Marcel Zuurbier in Führung liegend die Kontrolle verlor und im schnellsten Streckenabschnitt schwer stürzte. Da er anschließend nicht umgehend geborgen werden konnte, musste das Rennen in der achten von vierzehn Runden abgebrochen werden. Bei der Untersuchung im Krankhaus in Doetichem wurden dem jungen Holländer bedauerlicherweise eine ausgekugelte Schulter, ein gebrochenes Schlüsselbein sowie ein abgebrochenes Stück am Oberarmkopf diagnostiziert.
Zwar körperlich unversehrt, aber dennoch vom Pech verfolgt war auch Thomas Kreutz. Hatte er bis in Runde 6 noch um den Sieg gekämpft, vereitelte kurz darauf ein abgerissenes Schaltgestänge die Weiterfahrt und zwang ihn in Runde 7 zur Aufgabe.
Im wahrsten Sinne lachende dritter war George Fröhlich. Der Wechselburger hatte das ganze Wochenende über an der Top 5 gekratzt und profitierte nun von den Ausfällen von Zuurbier und Kreutz und schaffte so doch noch den Sprung aufs Podium. Auch für Marc Bornhäusser endete der zweite Lauf zufriedenstellend. Nachdem im ersten Rennen absolut nichts nach Plan gelaufen war, beendete er das zweite auf Platz acht und reist nun mit insgesamt 9 Meisterschaftspunkten zum zweiten IRRC-Event nach Oss.
IRRC Superbike
Auch die Läufe zur IRRC Superbike boten ein spannendes Duell um die Spitze und wurden vom Zweikampf der ONK-Fahrer Nigel Walraven und Arie Vos geprägt. Der ehemalige IDM Superbike-Fahrer und holländische Meister Arie Vos hatte schon im ersten Qualifying gezeigt, wo der Hammer hängt, doch der 25jährige Nigel Walraven war das ganze Wochenende über in Reichweite geblieben. Nachdem Walraven im IRRC Lauf eins und im ONK Rennen jeweils die Führung übernahm und sich dann doch dem 38 jährigen Routinier geschlagen geben musste, schlug im dritten Rennen endlich die Stunde des jungen Herausforderers und Walraven konnte sich die letzte Siegertrophäe des Tages sichern. Auf Platz 3 fuhr in beiden Läufen der amtierende IRRC Superbike-Meister Didier Grams. Zwar durfte er sich nie ganz oben aufs Treppchen stellen, da Walraven und Vos aber nur als Gastfahrer angetreten waren, sicherte er sich die maximal möglichen fünfzig Meisterschaftspunkte und reist mit 10 Zählern Vorsprung auf den Zweitplatzierten Vick de Cooremeter zum nächsten Rennen nach Oos (NL).
Kleines Städtchen, enge Straßen, große Show. Die Rennen auf dem Varsselring haben wieder einmal gezeigt, dass es keiner VIP-Bereiche und teuren Infrastruktur bedarf, um hochkarätigen Zweiradrennsport zu bieten. Mehrere tausend Besucher sprechen eine eindeutige Sprache: ein offenes, familiäres Fahrerlager sowie ambitionierte Racer, die die ursprünglichste Form des Straßenrennens lieben und leben, reichen aus, um Zuschauer an die Strecke zu locken und für Rennsport zu begeistern.
Wenn ihr jetzt die IRRC auch einmal live erlebt wollte, dann bietet sich hierfür noch reichlich Gelegenheit. Es finden dieses Jahr noch 5 weitere Veranstaltungen statt. Die nächsten Rennen werden am zweiten Juniwochenende im holländischen Oss ausgetragen. Alle weiteren Termine findet ihr hier.
5 Pings