Herzrasen

Ich neige zu Extremen. Das fällt mir nicht nur auf, wenn ich auf die Frauen zurückblicke, die mir bisher den Kopf verdrehten, sondern auch bei der Überlegung, an welche Motorräder ich in den vergangenen Jahren wirklich mein Herz verloren habe. Nach meiner Jugendliebe, einer Aprilia RS 125 Replica, folgte zwar eine ausgewogene und bodenständige Liaison zu eine Kawasaki ZX-6R (G), echte Gefühle weckte aber erst wieder die Ur-Zehner aus dem Jahr 2004. Diese Beziehung war für mich bis jetzt auch die Krönung. Wie gesagt – bis jetzt.

Ende Oktober sollte sich durch eine kurze Begegnung wieder einmal alles ändern. Die Einladung eines Freundes aus dem Kraichgau verschaffte mir überraschend die Möglichkeit, eine kurze Runde auf Aprilias neuem Flaggschiff im Supersportsegment zu drehen.

Bereits auf dem Weg zum Treffen war ich nervös wie ein verknallter Teenager, denn schon bei unserer ersten Begegnung im Frühling 2010, hatte die RSV mein Herz erwärmt. Was aber die neue RSV R APRC in mir auslöste, ging schon fast in Richtung Liebe auf den ersten Blick.

Da bei der Übergabe des Motorrades die Sonne schon unter ging, blieb mir  nur eine gute halbe Stunde, um noch, unter brauchbaren Bedingungen, ein paar Fahreindrücke zu sammeln. Ich hatte also keine Zeit, mich vor dem Losfahren mit den elektronsichen Helferlein vertraut zu machen, geschweige denn etwas an der Einstellung von Wheelie- oder Traktionskontrolle zu ändern.

Bereits beim Aufsitzen machte die Schöne aus Noale ihren extrem sportlichen Charakter unmissverständlich klar. Nachdem ich in der letzten Zeit hauptsächlich auf Alltagsmotorrädern vom Schlage einer Suzuki GSR oder einer Honda Crossrunner unterwegs war, fielen die ultra kompakte Sitzposition, der enge Kniewinkel, die tief angeschlagenen Lenkerenden und das sehr straffe Polster um so deutlicher auf. Alles zielt hier auf perfekte Fahrbarkeit ab. Transparenz, Rückmeldung, Agilität – sonst nichts.

Nun aber los. Ich betätige den Anlasser und nach kurzem Zögern erwacht der V4 zum Leben. Und wie er das tut! Das raue Prabbeln des RSV Aggregats lässt sofort die Nackenhaare in die Höhe schnellen. Was für ein Klang! Ich lasse den sehr lang übersetzten ersten Gang einrasten und rolle  los.

Che bella macchina! An der 2011er RSV fügt sich nun endlich auch der Endtopf ins schicke Gesamtbild

Schon nach einer handvoll Kurven stellt sich ein Dauergrinsen ein, das während der gesamten Fahrt nicht mehr nachlässt.  Aber nicht nur die Mundwinkel streben ständig nach oben. Der aggressive Sound des V4 treibt einen ständig dazu an, mehr Leistung vom vibrationsarm laufenden Antrieb abzurufen. Auf dem Papier hat das 2011er Modell zwar nicht an Kraft zugelegt (180 PS bei 10.000 U/min.), er fühlt sich aber mindestens 15 PS stärker an, als sein Vorgänger. Das führt dazu, das die Kurven am Ende der vermeintlichen Gerade schneller heran fliegen, als einem lieb ist. Mehr als einmal schnellt so der Puls in schwindelnde Höhen.

Auf den engen und hügeligen Nebenstraßen des Kraichgau macht sich die üppig vorhandene Leistung der RSV besonders bemerkbar. Dank der linearen Leistungsentfaltung lässt sich die Power zwar hervorragend verwalten, trotzdem will einem beim Beschleunigen aus allen Ecken und über jede noch so kleine Kuppe die Gabelbrücke ins Gesicht springen. Gut, dass hier die schon erwähnte Elektronik unterstützend eingreift. Lässt die Wheelie-control auf der niedrigsten Stufe beim Geradeausbolzen kein Abheben der Front zu, sieht das bei kleinen Kuppen anders aus. Hier steigt das Vorderrad leicht und schwebt gefühlte 15-20 Zentimeter über dem Asphalt. Bemerkenswert ist, wie feinfühlig das System dabei zu Werke geht. Kein abruptes Aussetzen der Zündung und auch kein unsanftes Aufschlagen des Vorderbaus auf der Straße unterbricht die rasante Hatz. Es fühlt sich einfach so an, als gäbe es einen unsichtbaren Widerstand, der ein weiteres Steigen unterbindet.

Ähnlich superb arbeiten die Brembo-Stopper der RSV. Brutal zupackend und glasklar im Druckpunkt, überzeugen sie auf ganzer Linie. Auf der Landstraße reicht eigentlich immer der Zeigefinger, um Mann und Maschine punktgenau zu verzögern. Allerdings erfordert die Bremsanlage ständig vollste Aufmerksamkeit, denn auf eine Schreckbremsung mit der ganzen Hand folgt unweigerlich ein gepflegter Überschlag nach vorne.

Ein romantischer Abend zu zweit

Doch nicht alles funktioniert auf solch hohem Niveau. Da man auf öffentlichen Straßen nicht nur im Kreis fährt und daher auch ab und an mal die Richtungsänderung anzeigen muss, kommt man um den Griff zur Blinkerarmatur nicht herum. Deren Bedienung gestaltete sich am Testmotorrad allerdings nicht ganz so transparent. Der Druck auf den Taster gab leider nie Rückmeldung darüber, ob das Ding seiner Funktion nachging, oder nicht.

Diese Kleinigkeit blieb aber der einzige Makel, der mir in der Kürze der Zeit auffiel. Alles andere an der Aprilia ist radikal, aber absolut überzeugend.

So wird man die RSV wohl meistens sehen - von hinten. Auch schön!

Vielleicht war ich durch die romantische Abendstimmung etwas gefühlsduselig, doch nach Wochen der Sportlerabstinenz setzte die rassige Italienerin, mit ihrer kompromisslosen Art, mehr Glückshormone bei mir frei, als ein Besuch in der Playboy-Mansion. Egal, ob durch die sportliche Sitzposition, die endlich wieder ein direktes Gefühl für das Vorderrad vermittelt, oder durch dieses Tier von einem Motor, der fast immer so viel Schub generiert, dass man aus allen Ecken mit erhobenem Vorderrad ballern kann. Und nicht zuletzt die straffe Sitzbank, die einem in keiner Sekunde im Unklaren darüber lässt, was unter einem passiert. Alles an der RSV ist auf Glückseeligkeit und Verständigung mit dem Fahrer ausgelegt. Wäre das Motorrad eine Frau, wäre sie wohl die perfekte Partnerin. Es wir nie langweilig mir ihr, sie sieht verführerisch gut aus und sie wäre auch mit den Kumpels auf einer Wellenlänge. Das Beste ist aber, dass sie einen keine Sekunde im Unklaren darüber lässt, woran man bei ihr ist.

Und falls es irgendwann mit der Verständigung doch nicht mehr so recht klappen sollte, würde ich für dieses Motorrad sogar Italienisch lernen.

Schreibe einen Kommentar

Your email address will not be published.

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.